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17.-23.9.17


Eine aufmunternde und mahnende Erinnerung

Psalm 103,2


Dieser Satz kann eine Hilfe sein für den, der in einer augenblicklichen Krise steckt, der schwarz sieht, weil er schweres Leid ertragen muss, der krank ist, den hungert, der von anderen Menschen herumgestoßen wird, der verloren hat, was er gern gehabt hat, der schreckliche Dinge erlebt hat, der das Vertrauen zu sich selbst verloren hat.

Wer durch solche Krisen geht, der sieht vielleicht das ganze Leben durch die alles verdunkelnde Brille des Leids. Der vermag dann auch beim besten Willen vielleicht nicht mehr zu unterscheiden zwischen Hell und Dunkel, der vermag die bunten Farben des Lebens vielleicht nicht mehr wahrzunehmen. Für den mag in Vergessenheit geraten, dass das Leben mehr ist als das, was ihm gerade Leid bereitet.

Für den, dessen Blick so fixiert ist auf sein eigenes Leiden und dessen Ausblick auf das Leben durch die Krise so sehr in eine Richtung gelenkt ist, für den mag es hilfreich sein, diesen Satz zu hören: „Vergiss nicht, was der Herr dir Gutes getan hat. Denke zurück an die schönen Dinge deines Lebens. Es war nicht immer so wie gerade jetzt, du hast auch schon beglückende Erfahrungen gemacht. Dir ist manche gute Begabung mitgegeben, dir ist manches im Leben gelungen, dir sind einige Menschen begegnet, die dich wirklich gern gehabt haben, du hast dich an vielen Tagen rundherum wohl gefühlt und hast aus dem Vollen des Lebens schöpfen können. Und wenn sich dein Blick wieder öffnet, dann wirst du sehen, wie viele schöne Dinge dir auch jetzt gegeben sind.“

Der Schmerz kann den Blick für die Schönheiten unseres Daseins verstellen. Wer noch nicht ganz ertrunken ist in seiner Verzweiflung, für den mag das Psalmwort eine Hilfe sein, eine Ermunterung, ein Anstoß zur Erinnerung, der tatsächlich die heilsamen Kräfte freisetzen kann, die in den guten Erfahrungen unseres Lebens verborgen sind.

Das Psalmwort ist aber auch eine Ermahnung für den Griesgrämigen, für den Verwöhnten, für den, der alle guten Dinge des Lebens wie selbstverständlich annimmt und sich immer nur dessen bewusst ist, was ihm fehlt. Manche finden in jeder Suppe ein Haar, sie sind immer unzufrieden. Nichts und niemand kann sie wirklich erfreuen.

Da mag es nötig sein zu sagen: „Vergiss nicht, was du Gutes im Leben erfahren hast und erfährst.“ Da mag es nötig und hilfreich sein, ihm die Augen zu öffnen für den überschwänglichen Reichtum seines Lebens.

Es mag dann hilfreich sein, ein Gespräch zu beginnen über die Frage: Trete ich dem Leben gegenüber als einer, der alles erwartet, als einer, der meint, ein Recht auf alles zu haben? Als solcher kann ich durch die Realität nur enttäuscht werden.

Oder trete ich dem Leben gegenüber als einer, der nichts erwartet, der das, was ihm an Gutem begegnet, als unerwartetes  Geschenk anzunehmen bereit ist? Für den können die vielen Tage des Lebens zu Festtagen werden, denn jeder Tag mit seinen vielen Erfahrungen ist ein neues Geschenk.

Wie wir dem Leben begegnen - in unseren guten und in unseren schweren Tagen, das hängt sehr von unserer inneren Bereitschaft, von unserer Grundeinstellung ab.

Und woher kommt diese? Sie hat einen unverfügbaren Ursprung. Sie kommt aus der Erfahrung des Angenommenseins, des Geliebtseins.

Es hat deshalb wenig Sinn, einen Menschen aufzufordern: „Nimm dein Leben als eine gute Gabe an“, und dann wie unbeteiligt weiterzugehen. Dem Aufruf wird er vielleicht nicht folgen können, wenn er sich  nicht angenommen weiß, wenn er die menschliche Zuwendung nicht erfährt. Auf sie kommt sehr viel an. Das haben wir in besonders nachdrücklicher Weise durch Jesus Christus gelernt.

„Lobe den Herrn und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat“ - diesen Satz können wir an uns selbst gerichtet sein lassen. Weitergeben können wir diesen Satz sinnvoll dann, wenn wir uns demjenigen auch persönlich zuwenden, den wir ansprechen. 

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 9. September 1980)

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