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3.-9.9.17 


Hoffnung ist nicht Illusion

Jesaja 42,3


Das „geknickte Rohr“ und der „glimmende Docht“ - zwei Bilder für das kurz bevorstehende endgültige Aus. Und zwei Bilder der Hoffnung. In unserer Bekanntschaft haben wir einen, dessen Leben in der Tat zweimal kurz vor dem Aus stand, einmal bei einer Herzoperation, einmal bei einer schweren Kopfoperation. Beide Male ist er, wie er mit schwarzem Humor sagte, dem Herrn noch mal eben wieder von der Schippe gesprungen. Ihm ist klar - und uns ist klar, dass es auch anders hätte kommen können. 

Jesaja war das natürlich auch klar. Manchmal zerbricht das angeknackste Rohr eben doch und der glimmende Docht verlöscht. In der Geschichte Israels ist es oft genug so gekommen. Dennoch hat dieses Wort der Hoffnung sein Recht. Das ist ja überhaupt das Wesen der Hoffnung: dass sie sich der rauen Wirklichkeit voll bewusst ist. Hoffnung ist nicht Illusion. Hoffnung nimmt die Realität in vollem Umfang wahr. Aber zur Realität gehört eben auch, dass sie nicht voll berechenbar ist, dass da immer noch ein wenig Spielraum bleibt für das Unvorhersehbare. Es können immer mal wieder auch Wunder geschehen. 

Wenn nach einem Erdbeben die Suchmannschaften schon ihre Koffer packen, weil der Zeitraum, in dem Lebende unter den Trümmern gefunden werden können, verstrichen ist, und dann doch noch ein Mensch lebend geborgen wird, kommt dies einem Wunder gleich. Es geschieht immer wieder.

Für viele Menschen gibt es dieses Wunder nicht. Aber die Erfahrung der Zerstörung kann nicht das Leitbild unseres Lebens sein. Wir könnten dann nicht mehr glücklich werden. Wir könnten dann schlichtweg nicht mehr leben. Wir sind ohnehin zerbrechliche Geschöpfe und das Lebenslicht in uns ist eben nichts Stahlhartes; es ist mehr wie ein Hauch, etwas Unfassliches, immer Bedrohtes, etwas sehr Vergängliches. 

So ist das Leben: zart und zerbrechlich, aber doch voller Schönheiten, voller wunderbarer Abenteuer, voller Erfahrungen der Zuneigung und Liebe. Die Hoffnung ist eine der unverzichtbaren Kräfte des Lebens. 

In den biblischen Texten wird das „Ja“ zum Leben immer wieder nachdrücklich formuliert und zur Hoffnung ermutigt. In manchen Lebenssituationen brauchen wir diese Stärkung, die Jesaja mit diesen einprägsamen Bildern formuliert hat: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 16. August 2005)

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