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Sonntag vor der Passionszeit (3.3.19)


Maria und Martha

6. Februar 2005

Estomihi

(Sonntag vor der Passionszeit)

Lukas 10,38-42


Dies ist eigentlich ein ziemlich problematischer Text, weil er so leicht missverstanden und so furchtbar missbraucht werden kann. Missverstanden würde er z. B., wenn aus ihm eine Geringschätzung der Arbeit im Haushalt herausgelesen würde. Und missbraucht würde der Text z. B., wenn er den Frauen vorgehalten würde, die sich in Küche und Wohnung redlich bemühen, alles gut und schön zu machen.

Jesus zuzuhören, auf das Wort Gottes zu hören, die Bibel zu lesen, zum Gottesdienst zu gehen - das alles ist nicht grundsätzlich höher zu bewerten, als einem Gast ein schönes Essen zuzubereiten. Beides hat seinen eigenen großen Wert und sein eigenes gutes Recht. Allerdings hat auch jedes Ding seine Zeit.

In der Situation, die uns der Predigttext schildert, gibt es nun aber ein kleines Problem: dass nämlich zwei Dinge gleichzeitig vonnöten wären: nämlich dem Gast die rechte Gastfreundschaft zu erweisen und ihm zuzuhören. Meine Frau pflegt in dem Fall zu sagen: „Warte mit dem Erzählen, bis ich in der Küche fertig bin und dabeisein kann.“ Oder sie bittet den Gast: „Komm mit in die Küche. Dann kann ich weiter vorbereiten und kann dabei hören, was du zu erzählen hast.“

So ähnlich hat mal einer der Vikare in St. Markus diese biblische Geschichte von Maria und Martha umerzählt. Angeblich soll das so in einer Kinderbibel stehen: Da geht Jesus tatsächlich mit in die Küche und hilft den beiden Frauen bei der Hausarbeit, während er redet. Zensurenmäßig ist diese Idee unserem Vikar damals nicht gut bekommen. Aber ich finde, das wäre doch eine geniale und wirklich menschliche Lösung gewesen.

Jesus hat durch sein Vorgehen einen Konflikt heraufbeschworen. Beide Frauen wollen es ihm recht machen. Martha möchte ihm die rechte Gastfreundschaft erweisen, indem sie für sein leibliches Wohl sorgt. Maria möchte seinem Anliegen gerecht werden, indem sie ihm zuhört. In diesem Sinne dürfen wir beide Frauen einfach mal wohlwollend interpretieren.

Untereinander betrachten sich die Frauen allerdings nicht so wohlwollend. Martha bringt Jesus gegenüber ihren Ärger darüber zum Ausdruck, dass Maria nicht mithilft. Vielleicht hat es Martha schon häufiger gestört, dass Maria sich immer gern mit - in Anführungszeichen – „Höherem“ beschäftigte, wenn es im Haushalt mitzuhelfen galt.

Der Besuch Jesu führt also zu einer Missstimmung unter den Frauen. Das will ich Jesus jetzt aber nicht vorhalten.

Was will uns dieser Text eigentlich sagen? Es geht in diesem Text in der Tat um das Thema „Hören und Handeln“: Maria hört, Martha handelt. Beides gehört zusammen.

Schöne Worte ohne gute Taten sind letztlich nur schöne Worte und dann in Wirklichkeit nicht mehr schön, sondern schal. „Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe, das sind Worte und Taten“, heißt es in einem neueren Kirchenlied.

Umgekehrt braucht das Handeln aber auch Worte, eine Erklärung nämlich, einen Sinn, über den wir uns klarwerden müssen. So, wie Paulus in seinem Hohelied der Liebe sagt - wir haben den Text vorhin als Epistellesung gehört: „Wenn ich den Armen helfe, aber ohne Liebe, dann taugt das Helfen nicht.“ In der Tat kann ich mit Hilfe jemandem Gutes tun oder jemandem letztlich schaden. Wenn ich jemanden mit meiner Hilfe z. B. von mir anhängig mache und mir gefügig mache, dann habe ich ihm nicht wirklich geholfen. Oder wenn ich etwas geschenkt bekomme, kann es mir zur Freude und Hilfe geschehen. Es kann aber auch z. B. ein Werbegeschenk sein, das weniger mein Wohlergehen im Blick hat, sondern eher den Wohlstands des Gebers mehren soll. Der innere Sinn einer Hilfe muss also schon offengelegt werden. Das Wort, die Erklärung, die Deutung gehört zur Tat dazu.

Jesus war nicht nur ein großer Prediger; denken wir z. B. an die Bergpredigt. Er war auch ein großer Helfer; denken wir an die vielen Heilungen, an die Speisungen, an die Besuche bei Randständigen, bei Zöllnern und Sündern. Was er geredet hat, hat er getan. Und was er getan hat, hat er erklärt.

Wenn wir im Lukasevangelium das Kapitel lesen, das unserem Predigtabschnitt vorausgeht, sehen wir: Da steht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Der Samariter leistet dem Verletzten am Wegesrand ganz praktische Hilfe. Warum? Was ist der Sinn seines Handelns? Darüber gibt der Samariter selbst keine Auskunft. Aber Jesus leitet das Gleichnis mit einer Erklärung ein und gibt dem Handeln des Samariters damit seinen besonderen Sinn. Jesus sagt nämlich als Antwort auf eine Frage der Schriftgelehrten: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Durch diese Einleitung macht Jesus uns klar, dass die Hilfe am Verletzten als Ausdruck der Liebe zu verstehen ist, als praktische Nächstenliebe. Und zu der werden auch wir aufgefordert.

Also, Wort und Tat, Tat und Wort gehören zusammen. Sie sind wie Schwestern. Es ist nicht gut, Wort und Tat gegeneinander auszuspielen. Es ist auch nicht gut, Maria und Martha gegeneinander auszuspielen. Die kleine Episode im Hause der Schwestern will einfach die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung speziell des Hörens lenken, während im Abschnitt zuvor die Aufmerksamkeit des Lesers vor allem auf die Bedeutung des Handelns gelenkt worden ist. Beides müssen wir im Zusammenhang miteinander sehen.

Das gilt überhaupt ganz generell für den angemessenen Umgang mit den biblischen Texten: Wir müssen über die Einzelaussagen hinaus immer auch nach den großen übergreifenden, verbindenden Linien fragen, nach dem roten Faden.

Das Wort z. B. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch vom Wort Gottes“ dürfen wir auch nicht isoliert hören. Denn auch das Umgekehrte gilt und ist auch von Jesus gemeint: Der Mensch lebt nicht vom Wort Gottes allein. Er braucht auch Brot für den Magen. Wenn beides zusammenkommt, dann ist es gut, so, wie der Volksmund z. B. sagt: „Liebe geht durch den Magen.“ In diesem Sinne hat Martha Jesus die Ehre erweisen wollen.

Betrachten wir unseren Predigtabschnitt also einfach mal als literarische Provokation, die uns anregen soll, uns mit dem Verhältnis von Hören und Handeln zu beschäftigen. Der Evangelist Lukas wählt für sein Anliegen eine Geschichte, in der Martha sich über ihre untätige, Jesus zuhörende Schwester beschwert und Jesus dazu Stellung bezieht.

Wenn wir die Geschichte umschreiben wollten, dann könnten wir das wie unserer damaliger Vikar machen: Wir verlegen die Szene in die Küche. Da können sich Hören und Handeln gleichzeitig vollziehen. Aber wenn uns das als die biblische Geschichte überliefert worden wäre, dann hätten wir vielleicht gar nicht gemerkt, um welches Thema es hier eigentlich geht.

Also lassen wir die Geschichte, wie sie ist. Aber hüten wir uns davor, in unserem Lebensumfeld Frauen in wertender oder gar abwertender Weise in Marthas und Marias einzuteilen.

Hören und Handeln sind Geschwister - die liegen manchmal im Streit miteinander. Es ist ja auch wirklich nicht immer leicht zu entscheiden, was denn jeweils das Richtige und Gute zu tun wäre - sonntags morgens zum Beispiel: Gehe ich nun zum Gottesdienst und höre mal zu oder erledige ich noch dieses und jenes andere Schöne oder Dringende? Diese Frage brauchen wir nicht dogmatisch und auch nicht mit schlechtem Gewissen zu beantworten.

Es ist einfach grundsätzlich gut, sich regelmäßig zu besinnen auf das, was man eigentlich tut, und sich zu fragen: Was mache ich da eigentlich, warum mache ich das, mache ich das eigentlich richtig und kann ich das vor meinem Gewissen und vor meinen Mitmenschen und vor meinem Schöpfer verantworten?

Solche Nachdenklichkeit tut jedem von uns gut und ist auch für unsere Gesellschaft insgesamt wichtig. Es ist wichtig, dass wir im Sinne einer kontinuierlichen Übung zuhören und uns immer wieder ins Gewissen reden lassen - als Einzelne ganz persönlich und gemeinschaftlich, auch in unserer Berufsausübung, auch in der Politik, auch in der Wirtschaft.

Wir sind ja alle miteinander auf der Suche nach Orientierung. Wir wollen etwas hören. Wir wollen etwas hören von den Werten der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit, des mitmenschlichen Anstands, der Barmherzigkeit, der Versöhnung, des Friedens, der Bescheidenheit, der Demut, der Wahrnehmung von Verantwortung, der Liebe. Wir wollen etwas hören und wir müssen - das gehört auch zu unserem kirchlichen Auftrag -, wir müssen diese Werte auch zu Gehör bringen - in der Nachfolge Jesu. Unser Reden ist dann auch wichtig: dass wir weitersagen, was wir gehört und gelesen haben, dass wir also den Schatz an guten Worten weitergeben - in Wort und Tat.

Maria und Martha, Hören und Handeln - zwei Schwestern, zwei Aufgaben - sie haben beide ihr Recht. Wenn sie im Streit miteinander liegen, vielleicht in uns selbst, helfen wir mit, dass sie beide zu ihrem Recht kommen - undogmatisch und versöhnlich!

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 6. Februar 2005)

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