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31.3.-6.4.19


Verzweifelter Griff nach Halt und Trost

Johannes 12,24


Aus diesem Bild aus der Natur ist zum einen etwas Tröstliches. Der individuelle Tod bedeutet nicht den Tod des Ganzen. Der Tod des Einzelnen bekommt seine Bedeutung und seinen Sinn dadurch, dass er dem Ganzen dient und das Wohl des Ganzen mehrt.  Wenn der Bauer den einen Sack Getreide in seiner Scheune zu erhalten versuchte, hätte er nicht viel davon. Er könnte ihn täglich betrachten, aber lange könnte die Betrachtung nicht währen, denn bald wäre das Getreide verfault und damit nutzlos und für immer dahin.

Dieser eine Sack Getreide muss geopfert werden. Wird er auf dem Feld ausgestreut, wird der Bauer viele Säcke Getreide zurückbekommen. Das ist ein tröstliches Bild, weil die Vergänglichkeit hier keinen endgültigen Charakter hat, sie kehrt sich um in neues, blühendes Leben. Man kann getrost loslassen, was man hat, denn man wird hinterher umso reichlicher beschenkt. Das ist die tröstliche Seite dieses Bildes. Die andere ist die tragische Seite.

Da jedoch, wo es sich nicht um ein Weizenkorn handelt, sondern um einen Menschen, kann uns der Gedanke nicht behagen, dass der Tod des einen die Voraussetzung für das Leben anderer sein soll.

Wenn z. B auf Gedenksteinen zur Erinnerung an die Gefallenen eines Krieges steht: „Sie starben, damit wir leben können“, spüren wir zwar hinter diesen Worten den verzweifelten Griff nach Halt und Trost angesichts der drängenden Frage nach dem „Warum?“. Dennoch offenbaren solche Aufschriften vor allem die Tragik unserer Lebensverhältnisse. Denn die Frage kann nicht verstummen: Musste das  so kommen? Muss es so sein, dass Menschen in Kriegen sterben? Die Opfer des Krieges sind ja die Konsequenz menschlicher Schuld. Das Wechselspiel von Leben und Sterben, das durch diese Triebkraft „menschliche Schuld“ in Gang gehalten wird, können wir nicht einfach annehmen wie den Kreislauf der Natur.

Dass Jesus Christus sterben musste, können wir deshalb auch nicht einfach annehmen. Sein Tod hat zwar auch eine tröstliche Seite. Denn sein Tod ist für uns zur Offenbarung über uns und unsere Schuld und schließlich zum Siegel der Vergebung Gottes geworden. Aber dass es eben die menschliche Schuld ist, die dieses ganze Drama erforderlich gemacht hat, bleibt ein Stachel, der uns nicht zur Ruhe kommen lassen kann.

Dass wir von Grund auf Sünder sind und Christus immer wieder neu kreuzigen und die liebevolle Aufopferung Gottes für uns deshalb heilsnotwendig bleibt, ist zwar praktisch wie ein Gesetz der Natur. Aber wir können deshalb nicht aufhören, mit erschrecktem Erstaunen uns selbst zu betrachten, in uns zu gehen und uns nach Wegen umzusehen, die aus diesen naturhaften Zwängen und tragischen Verstrickungen hinausführen.    

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 11.3.1986)

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