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4. Sonntag vor der Passionszeit (10.2.19)


Mit Gottvertrauen tun, was uns möglich ist

28. Januar 1973

4. Sonntag nach Epiphanias

Matthäus 8,23-27


Der Pre­digt­text ist heu­te die Er­zäh­lung von der Stil­lung des Stur­mes. Je­sus be­fin­det sich mit sei­nen Jün­gern drau­ßen auf dem Meer. Ein Sturm setzt ein. Die Wel­len schla­gen hoch und das klei­ne Boot droht voll Was­ser zu lau­fen. Je­sus schläft. To­des­angst über­fällt die Jün­ger. Sie wec­ken Je­sus auf und sa­gen: „Herr, ret­te uns, wir sind ver­lo­ren!“ Dar­auf sagt Je­sus: „Was seid ihr so ver­zagt, ihr Klein­gläu­bi­gen!“ Dann steht Je­sus auf, herrscht den Wind und das Meer an, und es tritt eine völ­li­ge Wind­stil­le ein. Die Jün­ger stau­nen dar­über und sa­gen: „Was ist das für ein Mensch, dass ihm der Wind und das Meer ge­hor­chen?!“

Wir ha­ben es – wie schon in den letz­ten Wo­chen – auch hier wie­der mit ei­ner Wun­der­ge­schich­te zu tun. Wir könn­ten uns wie­der Ge­dan­ken dar­über ma­chen, wie wir die­se Wun­derer­zäh­lung in­ter­pre­tie­ren müss­ten, um un­se­ren Wi­der­wil­len zu be­sänf­ti­gen, der im­mer auf­kommt, wenn wir so un­wahr­schein­li­che, un­glaub­li­che Ge­schich­ten hö­ren. Denn es wird sich heut­zu­ta­ge kaum noch ei­ner weis­ma­chen las­sen, dass je­mand, wer es auch im­mer sei, und sei es Je­sus, mit ei­nem Wort Wind und Meer zur Ruhe brin­gen kön­ne.

Aber die­ses Pro­blem, die Deu­tung des Wun­ders, wol­len wir – so gut es geht – bei­sei­telas­sen. Denn das ei­gent­li­che An­lie­gen die­ser Er­zäh­lung scheint mir an­ders­wo zu lie­gen. Es geht hier wohl vor al­lem um das The­ma „Glau­be“, ge­nau­er noch um die Be­zie­hung zwi­schen Glau­be und Angst, und zwar Angst in der kon­kre­ten Ge­fahr.

Die Jün­ger ha­ben Angst vor dem Er­trin­ken. In ih­rer Ver­zweif­lung wec­ken sie Je­sus auf, der im Boot schläft, und bit­ten ihn um Ret­tung aus der Not. Dar­auf er­wi­dert Je­sus: „Was seid ihr so ver­zagt, ihr Klein­gläu­bi­gen!“ Die­se Re­ak­ti­on woll­te mir zu­erst gar nicht ein­leuch­ten. War­um wirft Je­sus sei­nen Jün­gern Klein­gläu­big­keit vor? Wenn sie ihn auf­wecken und um Hil­fe bit­ten, dann brin­gen sie doch da­mit ih­ren Glau­ben an die be­son­de­re Macht Jesu zum Aus­druck. Sie ge­hen doch ir­gend­wie da­von aus, dass Je­sus sie ge­gen die Be­dro­hung durch die Na­tur­ge­wal­ten schüt­zen kön­ne. War­um also der Ver­wurf der Klein­gläu­big­keit?

Hät­ten die Jün­ger Je­sus wei­ter­schla­fen las­sen und dar­auf ver­trau­en sol­len, dass schon al­les gut ge­hen wür­de? Wäre das wirk­li­cher Glau­be ge­we­sen, in die­sem Au­gen­blick der höch­sten Ge­fahr sich zu sa­gen: Je­sus ist bei uns. Uns kann kein Scha­de rüh­ren?

So ein­fach be­ja­hen wol­len wir die­se Fra­ge wohl nicht. Denn wäre das nicht et­was naiv zu mei­nen, Je­sus könn­te vor der kon­kre­ten Ge­fahr schüt­zen? Frei­lich, die Wun­derer­zäh­lung stellt Je­sus als ei­nen Men­schen mit über­na­tür­li­chen Kräf­ten dar, der die Na­tur­ge­wal­ten mit ei­nem Wort un­ter Kon­trol­le hat, der im Be­darfs­fall viel­leicht auch ein Erd­be­ben zur Ruhe brin­gen und ei­nen La­va­strom um­lei­ten könn­te, um so Men­schen aus der To­des­ge­fahr zu er­ret­ten. Aber wir soll­ten uns wohl da­vor hü­ten, die Wun­derer­zäh­lung so wört­lich zu neh­men.

Wo wir uns in ei­ner kon­kre­ten Ge­fahr be­fin­den, da müs­sen wir auch da­mit rech­nen, an ihr zu­grun­de zu ge­hen. Der Ge­fahr müs­sen wir ins Au­gen se­hen ohne die Il­lu­si­on, durch über­na­tür­li­chen Ein­griff aus ihr be­freit zu wer­den. Auch die Jün­ger müs­sen klar se­hen, dass sie un­ter­ge­hen kön­nen. In der Tat ha­ben sie die­sen mög­li­chen ka­ta­stro­pha­len Aus­gang ganz deut­lich vor Au­gen. Sie wäh­nen sich nicht naiv in Si­cher­heit. Das kann ih­nen Je­sus wohl kaum zum Vor­wurf ma­chen wol­len.

Was wirft Je­sus den Jün­gern denn nun ei­gent­lich vor? Mir scheint, es ist Fol­gen­des: In der Sor­ge um ihr per­sön­li­ches Le­ben for­dern sie Je­sus prak­tisch auf, ein Wun­der zum Zwec­ke ih­rer Ret­tung zu voll­brin­gen, das Un­mög­li­che mög­lich zu ma­chen. Je­sus ist aber kein Zau­ber­mei­ster, den man im Be­darfs­fall dazu auf­for­dern oder dar­um bit­ten könn­te, die Pro­ble­me des Le­bens hin­weg­zu­zau­bern. Der Glau­be an sol­che Zau­be­rei ist Aber­glau­be und das Ver­ständ­nis Jesu als ei­nes Zau­ber­mei­sters ist ein Missver­ständ­nis.

Nun wol­len wir die Jün­ger nicht schlech­ter ma­chen, als Matt­häus sie sieht, aus des­sen Evan­ge­li­um die­se Er­zäh­lung ent­nom­men ist. Er lässt Je­sus ja nicht vom Aber­glau­ben oder Un­glau­ben der Jün­ger, son­dern von ih­rer Klein­gläu­big­keit spre­chen. Und dar­in kommt viel­leicht ein ge­wis­ses mensch­li­ches Ver­ständ­nis für die Lage der Jün­ger zum Ausd­ruck. Denn an das Ver­hal­ten von Men­schen im Au­gen­blick höch­ster Ge­fahr kann man kei­nen ganz so kri­ti­schen Maß­stab an­le­gen wie an das Ver­hal­ten un­ter nor­ma­len Be­din­gun­gen.

Su­chen wir ein­mal nach Par­al­le­len zur Ge­schich­te von der Stil­lung des Stur­mes in un­se­rer heu­ti­gen Zeit. Nun, wir wis­sen – sei es aus Er­fah­rung oder vom Hö­ren­sa­gen –, dass sich in Zei­ten der Not die Kir­chen fül­len und dann mehr und in­ni­ger als sonst um den Bei­stand Got­tes und Jesu ge­be­tet wird. Auch da müss­ten wir uns fra­gen, ob sol­ches ver­stärk­te Bemü­hen um gött­li­chen Schutz in Zei­ten aku­ter Ge­fahr als Zei­chen des Glau­bens oder der Klein­gläu­big­keit an­zu­se­hen ist.

Denn ist es nicht fol­gen­der­ma­ßen: Wir ste­hen im­mer zwi­schen Le­ben und Tod, sind im­mer in vie­ler­lei Wei­se be­droht. Die aku­te Ge­fahr, wie sie un­se­re Er­zäh­lung schil­dert, ist nur der Ex­trem­fall ei­nes Dau­er­zu­stan­des. Ein Un­glück kann je­der­zeit über uns her­ein­bre­chen. So et­was liegt ja gar nicht in unse­rer Hand. Frei­lich wer­den wir uns un­se­rer Ohn­macht ge­gen­über den Schlä­gen des Schick­sals oft nur im Au­gen­blick größ­ter Ge­fahr be­wusst. Denn wäh­rend wir sonst mei­nen, un­ser Le­ben in der Hand zu ha­ben, er­ken­nen wir dann die Gren­zen un­se­res Ver­mö­gens.

Nun ist aber ge­ra­de dies eine christ­li­che Sa­che, dass wir uns je­der­zeit und über­all un­se­rer Gren­zen be­wusst sind. Dass wir wis­sen: Wir sind letzt­lich nie und nir­gends Herr über uns selbst, son­dern – theo­lo­gisch ge­spro­chen: Un­ser Schick­sal liegt in Got­tes Hand. Wenn wir sa­gen: „Dein Wil­le ge­sche­he, wie im Him­mel, so auf Er­den“, brin­gen wir ge­ra­de die­ses Be­wusst­sein zum Aus­druck. Un­ser re­gel­mä­ßi­ger Got­tes­dienst trägt dazu bei, es le­ben­dig zu er­hal­ten. Je­sus wirft den Jün­gern also Klein­gläu­big­keit vor, weil sie ihn zu ei­nem be­son­de­ren Akt der Ret­tung auf­for­dern, ihn bit­ten, sich in die­ser be­dräng­ten Lage ih­rer an­zu­neh­men, als ob ihr Schick­sal nicht oh­ne­hin in Got­tes Hand läge – ganz un­ab­hän­gig da­von, ob Je­sus nun schläft oder nicht.

Nun ist noch ein Wort zu sa­gen über die Angst. Wir ha­ben schon ge­hört – ei­ner­seits: Wenn wir in Ge­fahr sind, müs­sen wir da­mit rech­nen, in ihr zu­grunde zu ge­hen. An­de­rer­seits: Un­ser Schick­sal liegt im­mer in Got­tes Hand. Wie ver­hält sich das zu­ein­an­der? Kön­nen wir über­haupt un­se­re Angst vor dem Schei­tern, vor dem Un­ter­gang über­win­den durch den Glau­ben an Got­tes Füh­rung, wenn wir da­bei nicht zu­gleich an die Mög­lich­keit wun­der­sa­mer Ret­tung durch Gott den­ken?

Wenn wir sa­gen: Un­ser Schick­sal liegt in Got­tes Hand, wol­len wir da­mit Fol­gen­des zum Aus­druck brin­gen: Un­se­re Be­reit­schaft näm­lich, das Schick­sal so hin­zu­neh­men, wie es je­weils ist, unser Le­ben zu be­ja­hen mit sei­nen Freu­den und Lei­den – und sei das Lei­den noch so groß. Das soll nun nicht hei­ßen: Wir le­gen un­se­re Hände in den Schoß und las­sen al­les Un­glück über uns er­ge­hen, statt uns nach Kräf­ten zu weh­ren und zu schüt­zen, ab­zu­si­chern, Gefah­ren vor­zu­beu­gen und im­mer­zu nach Mög­lich­kei­ten zu su­chen, uns selbst und an­de­re aus der je­wei­li­gen Ge­fahr zu ret­ten. Nein, alle die­se Maß­nah­men müs­sen wir er­grei­fen.

Nur, wir kön­nen uns im­mer nur ganz un­voll­kom­men schüt­zen. Das wird sich nicht än­dern. Ge­fah­ren wird es im­mer ge­ben. Und da ist es für un­ser Le­ben schon von ganz ent­schei­den­der Be­deu­tung, wie wir uns zu die­ser Tat­sa­che stel­len.

Es ist si­cher nicht gut, un­ser Le­ben durch die Angst be­stim­men las­sen, wie man­che es tun. Im­mer und über­all zu­nächst die Ge­fah­ren zu se­hen und dar­auf be­dacht zu sein, sich zu schüt­zen, al­lem und je­dem zu­nächst mit Miss­trau­en zu be­geg­nen. Und gut ist es si­cher auch nicht, mit Scheu­klap­pen durchs Le­ben zu ge­hen, sich naiv in Sicher­heit zu wä­gen, vor der täg­li­chen Be­dro­hung die Au­gen zu ver­schlie­ßen und dann, wenn das Un­glück doch ein­mal vor der Tür steht, sich an il­lu­sio­nä­re Stroh­hal­me zu klam­mern, wie es die Jün­ger mit ih­rer Bit­te an Je­sus wohltun. Sie ge­ra­ten selbst ganz au­ßer Fas­sung, als das ein­tritt, was sie bei kla­rem Ver­stand von Je­sus wohl nicht er­be­ten hät­ten und wor­an sie im Grun­de gar nicht ge­glaubt hat­ten.

Nein, wenn wir die im­mer ge­gen­wär­ti­gen Ge­fah­ren deut­lich se­hen und „Ja“ zu un­se­rem je­wei­li­gen Schick­sal sa­gen, d. h. theo­lo­gisch ge­spro­chen, un­ser Le­ben Got­tes Sa­che sein las­sen – und das ist die Hal­tung des Glau­bens –, dann ha­ben wir eine so­li­de Grund­la­ge, frei von Angst, kön­nen den Ge­fah­ren ge­fasst ins Auge se­hen und uns dar­an ma­chen, ih­nen mit un­se­ren mensch­li­chen Mit­teln, so gut es geht, zu trot­zen.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 28. Januar 1973)

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