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5. Sonntag der Passionszeit (7.4.19)


Politisches Kalkül und göttlicher Plan

26. März 1997

Passionsandacht

„Pilatus“

Matthäus 27,11-26


Pi­la­tus, Ver­tre­ter der staat­li­chen Macht, Ver­tre­ter der Be­sat­zungs­macht. Pi­la­tus, die ober­ste rich­ter­li­che In­stanz. Pi­la­tus, der Po­li­ti­ker. Pi­la­tus, der Ehe­mann.

Pi­la­tus im Ent­schei­dungs­zwang z­wi­schen den Füh­rern der Re­li­gion, dem Volk, sei­ner Frau, dem Kai­ser und dem Chri­stus. Po­li­tik ist die Kunst des Mög­li­chen. Ei­ne Lö­sung fin­den, die die Macht si­chert, die die Ru­he im Land er­hält, die al­le, die et­was zu sa­gen ha­ben, zu­frie­denstellt, die mög­lichst auch den Frie­den im Pri­va­ten nicht ge­fähr­det.

Ein frem­der Kon­flikt war an Pi­la­tus her­an­ge­tra­gen. Was gin­gen ihn die Strei­te­reien un­ter den Ju­den an?! Aber ent­schei­den muss­te er.

Die Be­völ­ke­rung war auf­ge­wühlt, das war ein Fakt - und da war Hand­lungs­be­darf. Die ober­sten re­ligi­ö­sen In­stan­zen der Ju­den hat­ten ihr Ur­teil ge­fällt, ob im Sin­ne der Be­völ­ke­rung, ob ge­gen die Be­völ­ke­rung, das war für ihn nicht zu er­ken­nen. Das Volk war ge­spal­ten, das war klar, aber auf wel­cher Sei­te war die Mehr­heit?

Und die­se son­der­ba­re Ge­stalt, die al­le Un­ru­he aus­ge­löst hat­te? Ei­gent­lich ei­ne un­schein­ba­re Per­son, mit ei­nem klei­nen Häuf­lein Ge­treu­er. Von sol­chen Grup­pen gab es ei­ni­ge im Land, die mein­ten, die Wahr­heit ge­fun­den zu ha­ben, die mein­ten, die Welt ver­bes­sern zu müs­sen. Egal, so­lan­ge sie kei­ne Ge­walt an­wen­den! Denn die gab’s ja auch, die Ze­lo­ten. Wahr­heit hin, Wahr­heit her, das kann nicht Sa­che der Po­li­tik sein.

Ei­gent­lich ir­gend­wie be­ein­druckend - die­se un­schein­ba­re Per­son. Wä­re wohl in­ter­es­sant ge­we­sen, sich mit die­sem Men­schen mal zu un­ter­hal­ten. Muss­te ja ir­gend­wie ­was dran sein an ihm, wenn er die Ge­mü­ter so sehr er­reg­te. Aber sich mal ein biss­chen mit ihm un­ter­hal­ten, war nicht drin. Die Zeit war nicht mehr da. Und au­ßer­dem: Er sag­te ja nichts. „Hörst du nicht, wie hart sie dich ver­kla­gen?“ Kei­ne Ant­wort, nicht mal zur ei­ge­nen Ver­tei­di­gung.

Jetzt muss­ten Prio­ri­tä­ten ge­setzt wer­den. Die auf­ge­heiz­ten Emo­tio­nen run­ter­ko­chen - das ging nur mit ei­ner schnel­len Ent­schei­dung. Ru­he im Land der Ju­den - das konn­te der Kai­ser in Rom von ihm als Statt­hal­ter er­war­ten.

Mög­lichst gu­te Zu­sam­men­ar­beit mit den ober­sten Au­to­ri­tä­ten des be­setz­ten Lan­des. So­weit ir­gend mög­lich muss­ten die Ho­he­prie­ster zu­frie­denge­stellt wer­den. Aber na­tür­lich nur so weit, wie noch ein Kon­sens zwi­schen ih­nen und dem Volk be­steht. Wenn da lan­des­in­ter­ne Kon­flik­te be­ste­hen, dann heißt es, auf der Hut sein. Da gilt es fest­zu­stel­len, wer die Macht hat. Wich­tig ist es schon, die Mehr­heit der Be­völ­ke­rung nicht zu sehr zu pro­vo­zie­ren.

Aber sich mög­lichst aus in­ter­nen Kon­flik­ten her­aus­hal­ten. Mög­lichst die Ent­schei­dung auf die strei­ten­den Par­teien selbst ver­la­gern. So sieht sei­ne Frau das of­fen­bar auch. Und ihr zu wi­der­spre­chen, wä­re auch nicht gut. Of­fen­bar hat die­se Ge­stalt, di­eser so­ge­nann­te „Ge­rech­te“, auch sie ir­gend­wie be­ein­druckt, wenn sie sei­net­hal­ben schon Träu­me hat. 

Al­so: Sich raus­hal­ten, an­de­re ent­schei­den las­sen und da­bei die Füh­rer und das Volk auf ei­ne Li­nie brin­gen. Den An­ge­klag­ten selbst kann man eh ver­ges­sen. Er hat sei­ne Chan­ce ge­habt. Er hat auf ei­ne ei­ge­ne Stel­lung­nah­me ver­zich­tet.

Die Lö­sung war ge­ni­al. Das war Po­li­tik er­ster Gü­te. Ge­wiss hat Pi­la­tus auch ein we­nig Glück ge­habt. Jetzt kam ihm ei­ne schon tra­di­tio­nel­le Ge­wohn­heit gut zupass: Aus An­lass des Fest­es ließ er tra­di­tio­nell ei­nen Ge­fan­ge­nen frei - und wen, das konn­te je­weils das Volk selbst ent­schei­den. So konn­te er al­so wie selbst­ver­ständ­lich das Volk ent­schei­den las­sen: „Wel­chen wollt ihr? Wen soll ich frei­las­sen? Bar­ra­bas oder Je­sus, von dem ge­sagt wird, er sei der Chri­stus?“

Die Ho­he­priester hat­ten für ei­ne Ant­wort in ih­rem Sin­ne schon vor­ge­ar­bei­tet. Sie hat­ten das Volk über­re­det, um Bar­ra­bars zu bit­ten.

Al­so schreien die Leu­te: Bar­ra­bas! Und um die Ent­schei­dung zum En­de zu brin­gen, Pi­la­tus: „Was soll ich denn ma­chen mit dem an­de­ren, mit Je­sus, von dem ge­sagt wird, er sei der Chri­stus?“ Sie schreien: „Lass ihn kreu­zi­gen!“

Bes­ser hät­te die Sa­che gar nicht lau­fen kön­nen - für Pi­la­tus. Das Volk hat ent­schie­den - und dies im Ein­ver­neh­men mit ih­ren Ober­sten.

Das aber woll­te er den Leu­ten noch ein­mal ganz deut­lich vor Au­gen füh­ren - für al­le Fäl­le: dass es ih­re Ent­schei­dung war und nicht sei­ne: Er ließ ei­ne Schüs­sel Was­ser kom­men und wusch sich vor den Au­gen al­ler die Hän­de und sag­te: „Dies war eu­re Ent­schei­dung. Ich wa­sche mei­ne Hän­de in Un­schuld.“

So muss­te für al­le die Sa­che ganz klar sein. Und auch sei­ner Frau wür­de die­ses Vor­ge­hen ge­fal­len.

Po­li­tik ist die Kunst des Mög­li­chen. Ob die­sem Men­schen, die­sem Je­sus, dem an­geb­li­chen Chri­stus, Ge­rech­tig­keit wi­der­fah­ren ist? Viel­leicht hat Pi­la­tus die­se Fra­ge zu­hau­se im Kreis der Fa­mi­lie noch ein we­nig hin und her­ be­wegt. Über die Wahr­heit kann die Po­li­tik je­den­falls nicht ver­fü­gen. Und auch Ge­rech­tig­keit kann im Sin­ne der Po­li­tik nur das sein, was die Zu­stim­mung der Mehr­heit fin­det, was die Ru­he im Lan­de si­chert und die Macht er­hält. So wird Pi­la­tus das - ganz ir­disch - ge­se­hen ha­ben.

Der da hin­ge­rich­tet wur­de, hat­te aber ei­ne grö­ße­re und schö­ne­re - ei­ne himm­li­sche - Bot­schaft. Sie schien der po­li­ti­schen Ver­nunft zum Op­fer ge­fal­len zu sein. Aber dies war nur vor­ü­ber­ge­hend. Pi­la­tus mein­te, Frie­den ges­chaf­fen zu ha­ben - auf die Wei­se, die sei­nem Amt ent­sprach. Aber der Frie­de Got­tes ist hö­her als die po­li­ti­sche Ver­nunft. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 26. März 1997)

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