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17. Sonntag nach Trinitatis (23.9.18)


Christ sein und Christ werden

Epheser 4,1-6

14. September 2008

17. Sonntag nach Trinitatis


Ein Satz aus diesem Abschnitt ist in die Glocke eingraviert, die wir 1992 in unsere Partnergemeinde Uyole in Tansania geschickt haben: „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“. Der Satz ist ebenfalls eingraviert in die Messingplatte, die wir in diesem Jahr aus Anlass des 20jährigen Jubiläums unserer Partnerschaft mit Uyole in zweifacher Ausführung - eine für uns, eine für die Partnergemeinde - in Deutsch und Kisuaheli erstellt haben.

In siebenfacher Weise ist in unserem Predigtabschnitt von der Einheit die Rede: Ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott. Paulus geht es um die Einheit der Christen. 

Es wäre einfach zu schön, einerseits, wenn wir uns alle immer einig wären - als Christen, als Kirche, als Gemeinde und auch politisch und gesellschaftlich und menschlich - und überhaupt. Das würde uns manchen Stress ersparen. Aber das geht ja gar nicht. Verzeihen Sie, wenn ich das so platt sage. Und es wäre andererseits auch ein Verlust. Gerade die Unterschiede machen das Leben aus: dass wir Mann und Frau sind, dass wir Kinder und Erwachsene sind, dass wir unterschiedliche Sprachen sprechen, dass wir so unterschiedliche Ideen und Begabungen haben. 

Wo versucht worden ist, zwangsweise eine Einheitlichkeit herzustellen, in sozialistischen Systemen z. B., da ist auch viel an Kreativität, an Lebendigkeit erstorben.

Es ist beides nötig: ein gewisses Maß an Einheit und ein gewisses Maß an Verschiedenheit. Mal ist es nötig, mehr das eine, mal ist es nötig, mehr das andere anzumahnen.

Paulus hatte zu seiner Zeit, als das Christentum noch im Werden war, Grund, das Thema Einheit anzusprechen. Denn die Christen lebten damals im großen Römischen Reich weit verstreut in kleinen Gemeinden, in Israel, in Syrien, in Griechenland, in der heutigen Türkei. Und innerhalb der Gemeinden lebten Christen unterschiedlicher Herkunft - mit jüdischem und nicht-jüdischem Hintergrund - und Menschen aus verschiedenen Ländern. 

Diese Menschen hatten unterschiedliche Meinungen darüber, was der Glaube an Christus bedeutete und wie eine Lebensführung im Sinne Jesu Christ auszusehen habe. 

In dieser Hinsicht gehen die Auffassung zwar auch heute noch teilweise weit auseinander. Aber die unterschiedlichen Positionen sind über die Jahrhunderte weitgehend durchdiskutiert und definiert worden. 

Zur Zeit des Paulus, in den ersten Jahrzehnten nach dem Auftreten Jesu, war bezüglich der Ausformung des Glaubens und einer daraus folgenden Lebensweise und bezüglich der Bildung von Gemeinden noch alles sehr offen und unbestimmt und unorganisiert. 

Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit also, die Gespaltenheit und Uneinigkeit unter den ersten Christen waren für Paulus Anlass, das Verbindende aufzuzeigen und anzumahnen. 

Mit seinen Wortgen macht er deutlich, dass Einheit zweierlei bedeutet: Einheit ist zum einen etwas feststellbar Vorhandenes, sie ist zum anderen eine ständig wahrzunehmende Aufgabe, ein Ziel. „Ihr seid zur Einheit berufen“, sagt er.

Die vorhandene Einheit der Christen besteht darin, dass sie sich in ihrem Glauben und in ihren Hoffnungen alle auf den einen Gott und den einen Herrn Jesus Christus beziehen. In seinem Geist bilden sie einen Leib. In der Taufe werden sie zu diesem einen Leib verbunden. 

Diese vorhandene Einheit bleibt formal und abstrakt, wenn sie nicht auch als Aufgabe begriffen wird und wenn sie nicht gelebt wird und Ausdruck findet in konkreten zwischenmenschlichen Verhaltensweisen: „Ertragt den anderen in der Liebe“, mahnt Paulus, „seid demütig, sanftmütig, geduldig“, also: „Erhebt euch nicht übereinander, unterdrückt euch nicht gegenseitig, geht nicht rau und unbarmherzig miteinander um und überfordert einander nicht. Lasst vielmehr einander gelten - jeden in seiner je besonderen Art, nehmt aufeinander Rücksicht, dient den anderen mit euren Stärken, seid nachsichtig mit den Schwächen der anderen, verzeiht einander und gebt einander nicht auf.“ 

Das ist keine Zustandsbeschreibung. Das sind, wenn wir die Wirklichkeit unseres zwischenmenschlichen Umgangs einmal in aller Offenheit betrachten, hohe, sehr hohe Ziele. Aber als Ziele, die unserem Leben Richtung geben, sind sie gut und sinnvoll und nötig. Wir sind immer auf dem Weg, das zu werden, wozu wir berufen sind. Und wir sollten uns auch ganz bewusst auf den Weg machen. 

Eine Ehe z. B. ist noch nicht allein dadurch eine Ehe, dass sie auf dem Standesamt geschlossen und ggf. noch in der Kirche besiegelt wird. Die Ehe verwirklicht sich darin, dass die Eheleute ihr gemeinsames Leben in Liebe und gegenseitigem Respekt miteinander führen. 

Christen sind wir nicht allein dadurch, dass wir getauft sind. Hinzukommen muss das Bemühen, im Geiste Jesu Christ zu leben. Deutsche sind wir nicht nur dadurch, dass wir einen deutschen Pass besitzen, sondern indem wir die uns obliegenden gemeinschaftlichen Aufgaben in unserem Land und gegenüber den Nachbarn und den Ländern der Welt wahrnehmen. Und Europäer sind wir nicht schon dadurch, dass entsprechende Verträge geschlossen werden. Es gehört auch eine entsprechende innere Einstellung der Menschen dazu und ein entsprechendes Engagement.

Und Menschen sind wir nicht allein dadurch, dass wir Kopf und Bauch, Hände und Füße besitzen, aufrechten Ganges gehen und die Fähigkeit zum Denken haben. Menschsein ist nicht nur ein körperlich-formaler Zustand, sondern auch eine Berufung, nämlich sich menschenwürdig zu verhalten in Achtung vor sich selbst und den Mitgeschöpfen. 

Wenn Paulus von der Einheit der Christen handelt, dann stellt er also zum einen die vorhandene Einheit fest, zum anderen mahnt er an, die Einheit als Ziel und Aufgabe zu begreifen und das Verhalten darauf auszurichten. 

Dies ist nun allerdings eine Mahnung an jeden einzelnen von uns. Und jeder Einzelne muss sich dieser Mahnung in eigener Verantwortung stellen. Einheit heißt nicht Konformität, und auch der Weg zur Einheit ist nicht ein einzig möglicher. Dies gilt für die Einheit der Christen ebenso wie für die Einheit der Deutschen und der Europäer und für die Einheit der Völkergemeinschaft. 

Die Einheit kann nicht von oben her erzwungen werden. Es kann gemahnt werden, es können gestalterische und organisatorische und rechtliche Vorgaben gemacht werden. Vor allem aber bedarf die Einheit der inneren Zustimmung, wenn sie denn nachhaltig Bestand haben soll. Eine erzwungene Einheit birgt den Keim der Selbstzerstörung in sich - das gilt im gesellschaftlichen und politischen Bereich ebenso wie im kirchlichen und gemeindlichen Bereich und im Menschlichen. 

Zwar kann der Mensch zu manchem gezwungen werden - und das ist manchmal auch nötig. Aber die Einheit, die Paulus meint, braucht die innere Bereitschaft, das aufrichtige Bemühen. Zur Einsicht des Neuen Testaments gehört, dass der gute Sinn gesetzlichen Zwangs seine Grenzen hat. Wo es um das Wesen des Menschen geht, um seinen Lebensentwurf, um seinen Glauben, da bedarf es der liebevollen Hilfe zur freien Entscheidung. 

Unsere ganze menschliche Lebensordnung besteht aus viel mehr als aus dem, was gesetzlich geregelt und überhaupt regelbar ist. 

Die innere Bereitschaft anzusprechen, ist insbesondere eine Aufgabe der Kirche, die Werte anzusprechen, die noch über dem geschriebenen Gesetz gelten, die Wahrnehmung der Verantwortung anzumahnen, die jeder einzelne auch über das vom Gesetz Geforderte hinaus für die menschliche Gemeinschaft insgesamt trägt.

Paulus mahnt insbesondere die Einheit der Christen an. Aber wir dürfen und sollten seine Mahnung auch weitergehend auslegen: als Christen sind wir auch Staatsbürger und Weltbürger und Menschen schlechthin. In vielfacher Weise gehören wir zusammen und tragen wir eine Verantwortung füreinander. 

Wir sind dabei stets auf dem Weg: Christen sind wir und Christen müssen wir noch werden. Deutsche sind wir und Deutsche müssen wir noch werden. Europäer sind wir und Europäer müssen wir noch werden. Weltbürger sind wir und müssen wir noch werden. Menschen sind wir und Menschen müssen wir noch werden. 

Gott schenke uns dafür den guten Willen, die Phantasie, die Geduld und die Kraft. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 14. September 2008)

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