Predigt, Predigten, Predigtsammlung, Bibelauslegung, Andachten, Morgenandachten, Wochenspruch, Wochensprüche, Hoheluft, Hamburg-Hoheluft, Wolfgang Nein, St. Markus

2. Sonntag in der Passionszeit (13.3.22)


Vom guten Ziel her denken

28. Februar 1999

Reminiszere

(2. Sonntag in der Passionszeit)

Matthäus 12,38-42


Wir be­fin­den uns, kir­chen­jah­res­zeit­lich be­trach­tet, in der Pas­sions­zeit, in der Zeit al­so, in der wir den Lei­dens­weg Je­su be­den­ken. Das Le­ben Je­su en­det in ei­ner schreck­li­chen Kat­a­stro­phe: Er wird am Kreuz hin­ge­rich­tet. Al­ler­dings ist das noch nicht das En­de der Gesch­ichte Je­su. Es geht dann noch wei­ter. Es kommt noch Ostern, die Auf­er­ste­hung, was so viel heißt wie: „Der Tod ist nicht das Letz­te. Das Le­ben siegt über den Tod. Die Lie­be ist stär­ker als der Tod.“ Das ist gut zu wis­sen.

Es ist über­haupt gut zu wis­sen - für un­ser Le­ben ganz all­ge­mein - im An­ge­sicht man­ch schwie­ri­ger und schmerz­haf­ter Er­eig­nis­se, dass es noch et­was Grö­ße­res gibt als den Schmerz, dass es ei­ne Über­win­dung der Kri­se gibt. Es ist gut und kann sehr hilf­reich sein, in Zei­ten der Not wei­ter­zu­blicken - über die Not hin­aus, hin­durch­zu­schau­en durch die Kri­se auf das, was da­nach an Lö­sun­gen kom­men könn­te -, und von dem Zu­stand da­nach her zu den­ken und zu han­deln. Das kann uns hel­fen, so man­che Kri­se mit et­was mehr Ge­las­sen­heit zu neh­men und sie mit mehr Kraft und Zu­ver­sicht zu durch­schrei­ten.

Wir star­ren statt des­sen manch­mal wie gebannt auf un­se­re Pro­ble­me, auf un­se­re Nö­te, auf die Schreck­lich­kei­ten die­ser Welt und den­ken und han­deln von da­her. Das ist gar nicht gut. Wenn mir je­mand et­was Ge­mei­nes ge­sagt hat z. B. und ich mein Den­ken und Han­deln nun von die­ser Ge­mein­heit her be­stimmt sein las­se, dann kann auch von mir nichts Gu­tes mehr kom­men, und mir selbst kann es da­bei auch nicht gut ge­hen.

An­ders ist es, wenn ich mir vor­stel­le, dass der Be­tref­fen­de doch auch sei­ne gu­ten Sei­ten hat, dass ihm sei­ne Ge­mein­heit viel­leicht dem­nächst selbst leidtun wird und dass ihm viel­leicht doch wie­der an ei­ner Be­rei­ni­gung un­se­res Ver­hält­nis­ses ge­le­gen sein wird. Dann den­ke und han­de­le ich doch lie­ber gleich von die­ser mög­li­chen künf­ti­gen Ver­söh­nung her und ver­su­che schon jetzt mei­ner­seits, die Mög­lich­keit zur Ver­söh­nung of­fen zu hal­ten und al­les zu ver­mei­den, was die La­ge jetzt noch ver­schär­fen könn­te.

Die Din­ge des Le­bens so zu se­hen, ist wirk­lich ei­ne Grund­satz­fra­ge, ei­ne Fra­ge der grund­sätz­li­chen Ein­stel­lung, eine Fra­ge des Glau­bens. Ich könn­te sa­gen: „Das Le­ben ist schön. Zwi­schen­drin in all dem Schö­nen gibt es aber auch Pro­ble­me. Durch die las­se ich mich aber nicht run­ter­rei­ßen, son­dern ich orien­tie­re mich an dem Gu­ten und Schö­nen.“ Dies wä­re mehr die christ­li­che Rich­tung.

O­der ich könn­te sa­gen - das tue ich aber nicht: „Das Le­ben ist Lei­den, und wenn es da­zwi­schen mal was Schö­nes gibt, dann soll­te man sich dar­ü­ber gar nicht erst be­son­ders freu­en, denn dann könn­te man hin­ter­her nur um so mehr wie­der ent­täuscht wer­den und dann folg­lich noch mehr Schmer­zen er­lei­den.“ 

Wenn wir jetzt in der Pas­sions­zeit al­so das Lei­den Je­su be­den­ken, dann ha­ben wir im­mer schon Ostern, die Auf­er­ste­hung, den Sieg des Le­bens und den Sieg der Lie­be mit im Hin­ter­kopf. Das wird uns da­vor be­wah­ren, uns so recht - ich sag das mal et­was sa­lopp - so recht im Leid zu suh­len. Das tun wir nicht. Das sol­len und dür­fen wir nicht tun, denn es geht bei der Pas­sions­ge­schich­te ja auch um Be­zie­hun­gen zwi­schen Men­schen, und da ist es ganz be­son­ders wich­tig, dass wir bei al­lem Streit und Är­ger stets von der Ver­söh­nung her den­ken, sonst ma­chen wir al­les noch viel schlim­mer.

In dem heu­ti­gen Pre­digt­text geht es auch um Streit und Är­ger. Je­sus hat auch Fein­de ge­habt. Er hat, ob­wohl er doch viel Gu­tes ge­sagt und ge­tan hat, nicht nur Freun­de ge­habt. Mit sei­ner Ein­stel­lung zum Le­ben, zum Men­schen, zu Gott und der Welt, fand er nicht nur Zu­stim­mung. Für die­je­ni­gen, die ei­ne ganz an­de­re Ein­stel­lung ver­tra­ten, war er ei­ne Her­aus­for­de­rung, ei­ne Pro­vo­ka­tion, weil er die an­de­ren in ih­rer Ein­stel­lung nicht nur ver­un­si­cher­te, son­dern weil neue Po­si­tio­nen auch zu Ver­än­de­run­gen im täg­li­chen Le­ben, im Um­gang von Mensch zu Mensch und im so­zi­a­len Mit­ein­an­der der Ge­sell­schaft füh­ren kön­nen. Grund­ein­stel­lun­gen zum Le­ben und zum Mensc­hen ha­ben auch ei­ne po­li­ti­sche Sei­te, sie ha­ben auch ei­ne ge­sell­schafts­po­li­ti­sche Aus­wir­kung und kön­nen so man­ches an ge­sell­schaft­li­chen Po­si­tio­nen durch­ein­an­der brin­gen. Die­se Ge­fahr sa­hen die Stüt­zen der da­ma­li­gen Ge­sell­schaft durch­aus, Pha­ri­säer und Schrift­ge­lehr­te und Ho­he­prie­ster. Um sol­chen bri­san­ten Ver­än­de­run­gen zu­vor­zu­kom­men, woll­ten sie das Übel bei der Wur­zel packen und den Auf­rüh­rer, als sol­chen sa­hen sie Jesus an, be­sei­ti­gen.

Wir ha­ben es in der Pas­sions­zeit al­so mit ei­ner ziem­lich kämp­fe­ri­schen Si­tu­a­tion zu tun, in der sich Men­schen mit un­ter­schied­li­chen Po­si­tio­nen ge­gen­ü­ber­ste­hen, feind­lich ge­gen­ü­ber­ste­hen. Die­se Feind­se­lig­keit spie­gelt sich in den Bi­bel­tex­ten. Wir müs­sen als Bi­bel­le­ser und Bi­bel­aus­le­ger sehr vor­sich­tig sein, dass wir uns in die­se Feind­se­lig­kei­ten nicht zu sehr hin­ein­rei­ßen las­sen. Da­mit wür­den wir dem An­lie­gen Je­su letzt­lich nicht ge­recht wer­den.

Was die Mach­art der Bi­bel­tex­te an­geht, müs­sen wir be­den­ken, dass die­se von Men­schen ge­schrie­ben wor­den sind, die sich selbst auch in ei­ner kämp­fe­ri­schen Si­tu­a­tion be­fan­den. Die bi­bli­schen Au­to­ren wa­ren kei­ne di­rek­ten Zeit­ge­nos­sen Je­su. Sie leb­ten und schrie­ben, als schon die er­sten christ­li­chen Ge­mein­den ge­bil­det wa­ren. Und die­se er­sten Chri­sten wa­ren von ih­rer Um­welt eben auch nicht gut ge­lit­ten. Sie wur­de z. T. hef­tig ver­folgt. Man­che er­ste Chri­sten mussten den Mär­tyr­er­tod ster­ben. Man kann sich al­so vor­stel­len, dass die­je­ni­gen, die über die An­fän­ge des Chri­sten­tums schrie­ben und dies aus ei­ner Si­tu­a­tion der Ver­fol­gung her­aus ta­ten, dass die­se Schrift­stel­ler auch et­was be­fan­gen wa­ren in die­ser hef­ti­gen Kon­flikt­si­tu­a­tion.

In un­se­rem heu­ti­gen Text ste­hen sich zwei Par­teien ge­gen­ü­ber: die Pha­ri­säer und Schrift­ge­lehr­ten auf der ei­nen Sei­te, Je­sus auf der an­de­ren Sei­te. Die Pha­ri­säer und Schrift­ge­lehr­ten for­dern Je­sus her­aus, durch ir­gend­wel­che Zei­chen die Rich­tig­keit sei­ner Po­si­tion zu be­wei­sen. Ein sol­ches An­sin­nen kann man zum ei­nen nach­voll­zie­hen. Es kann aber auch et­was hin­ter­häl­tig ge­meint sein, so, wie das wohl am deut­lich­sten in der Ver­su­chungs­ge­schich­te zum Aus­druck ge­bracht ist. Da lässt un­ser Schrift­stel­ler Mat­thäus, der Evan­ge­list Mat­thäus, den Teu­fel auf­tre­ten. Der Teu­fel for­dert Je­sus zu ei­nem be­weis­kräf­ti­gen Zei­chen auf. „Spring doch von die­sem ho­hen Turm her­un­ter“, sagt er. „Wenn du wirk­lich der Sohn Got­tes bist, dann wirst du doch si­cher­lich weich lan­den, denn die En­gel Got­tes wer­den dich doch auf­fan­gen.“ Das ist ziem­lich hin­ter­häl­tig und dar­auf ab­ge­stellt, schon im Vor­we­ge klar zu ma­chen: „Du, Je­sus, bist un­glaub­wür­dig. Was du sagst, geht am Le­ben vor­bei. Hal­te lie­ber dei­nen Mund und lass uns in Ru­he.“ Ich sage das mal et­was sa­lopp.

Ei­ne sol­che Art der Zei­chen­for­de­rung hat nichts Gu­tes im Sinn. Sie hat nicht zum Ziel, Je­sus wirk­lich als den­je­ni­gen zu er­ken­nen, als den er sich selbst aus­gibt. Die­se Art der Zei­chen­for­de­rung hat viel­mehr von vorn­her­ein das Ziel, Je­sus als Schar­la­tan zu ent­lar­ven.

Eben die­se hin­ter­häl­ti­ge Ab­sicht spürt Je­sus of­fen­sicht­lich auch bei den Pha­ri­säern und Schrift­ge­lehr­ten, als die­se ihn an­spre­chen: „Mei­ster, wir möch­ten gern ein Zei­chen von dir se­hen.“ Je­sus ant­wor­tet ent­spre­chend un­wirsch: „Ein bö­ses und ab­trün­ni­ges Ge­schlecht“ - und da­mit meint er die­je­ni­gen, die ihn ge­ra­de ge­fragt ha­ben – „ein bö­ses und ab­trün­ni­ges Ge­schlecht for­dert ein Zei­chen, aber es wird ihm kein Zei­chen ge­ge­ben wer­den.“ Und er fügt hin­zu: „Es sei denn das Zei­chen des Pro­phe­ten Jo­na.“

Jo­na - viel­leicht er­in­nern Sie sich an die­se alt­te­sta­ment­li­che Ge­schich­te - Jo­na hat­te von Gott den Auf­trag er­hal­ten, den Be­woh­nern der Stadt Ni­ni­ve ei­ne Mahn­re­de zu hal­ten und sie wie­der auf den rech­ten Weg zu brin­gen. Die Leu­te in Ni­ni­ve hat­ten sich al­ler­hand zu­schul­den kom­men las­sen, wa­ren aber kei­nes­wegs be­reit, sich Vor­hal­tun­gen ma­chen zu las­sen. Jo­na wei­gert sich, die­sen un­an­ge­neh­men Auf­trag aus­zu­füh­ren. Er be­gibt sich auf ei­ne Schiffs­rei­se, ge­rät in ei­nen Sturm, wird über Bord ge­wor­fen und von ei­nem Wal ver­schluckt. Im Bauch des Wa­les über­lebt er. Nach drei Ta­gen im dun­klen Bauch und un­ter Was­ser spuckt ihn der Wal an Land. Jo­na ist ge­ret­tet - und nun ist er be­reit, sei­nen Auf­trag aus­zu­füh­ren. Er tut dies mit Er­folg. Die Leu­te von Ni­ni­ve be­ge­ben sich auf den Weg der Bes­se­rung.

Mit dem Hin­weis auf Jo­na weist Je­sus vor­aus auf sei­nen Tod und sei­ne Auf­er­ste­hung am drit­ten Tag. Das wird dann das Zei­chen sein, das de­nen zu­teil wer­den wird, die ihn ge­ra­de nach ei­nem Zei­chen ge­fragt ha­ben.

Und Je­su fügt hin­zu: „Die Leu­te von Ni­ni­ve, die sich ja ge­bes­sert ha­ben, wer­den über euch zu Ge­richt sit­zen.“ – „Über euch“, so müsste man Je­su Ge­dan­ken nun fort­set­zen, „über euch, die ihr nicht den Ein­druck macht, dass ihr je­mals zur Um­kehr be­reit sein wer­det.“

Der Evan­ge­list Mat­thäus legt Je­sus hier har­te Wor­te in den Mund. Mat­thäus schreibt ja auch aus ei­ner Si­tu­a­tion her­aus, in der be­reits klar war, dass Je­sus von den Ju­den nicht als der Chri­stus an­er­kannt wor­den ist, und wo die an­de­ren, die an Je­sus als den Chri­stus glaub­ten, be­reits aus dem jü­di­schen Re­li­gions­ver­band hin­aus­ge­drängt wor­den wa­ren, es al­so be­reits zur Spal­tung von Ju­den und Chri­sten ge­kom­men war.

Es fällt mir im­mer wie­der schwer, muss ich ge­ste­hen, sol­che har­ten Wor­te Je­su nachzu­spre­chen. Das Ver­hält­nis zwi­schen Ju­den und Chri­sten ist im Ver­lauf der letz­ten zwei Jahr­tau­sen­de schwie­rig ge­nug ge­we­sen. Zum Glück gibt es Be­mü­hun­gen um ge­gen­sei­ti­ges Ver­ständ­nis und in dem Zu­sam­men­hang auch Be­mü­hun­gen um ei­ne Bi­bel­aus­le­gung, die auch der jü­di­schen Sei­te bes­ser ge­recht wird.

Für mich ist der Tat­be­stand wich­tig, dass Je­sus selbst letzt­lich mit den­je­ni­gen barm­her­zig um­ge­gan­gen ist, die ihn nicht ver­stan­den ha­ben, die ihn missver­stan­den ha­ben und die ver­sucht ha­ben, ihn mund­tot zu ma­chen. Das ist ja die Kern­aus­sa­ge des Neu­en Te­sta­men­tes: dass der Mensch, ganz egal wel­cher Re­li­gions­zu­ge­hö­rig­keit, dass der Mensch schlecht­hin, der sich so schwertut, an die Kraft und den Sinn und die Be­deu­tung der Lie­be zu glau­ben und die­se im­mer wie­der mit Fü­ßen tritt, dass die­ser Mensch sich den­noch als von Gott ge­lieb­tes We­sen ver­ste­hen darf. 

Ich fin­de, in die­sem Sin­ne soll­ten wir mit­ein­an­der um­ge­hen - es zu­min­dest im­mer wie­der ver­su­chen: dass wir bei al­len Pro­ble­men, die wir mit­ein­an­der ha­ben kön­nen, im­mer im Blick ha­ben, dass das Ober­ste und Größ­te und Schön­ste und un­ser al­ler Wunsch und un­ser christ­li­cher Auf­trag das lie­be­vol­le und ver­söhn­li­che Mit­ein­an­der ist. Mit die­sem Ziel vor Au­gen soll­ten wir hin­durch­schau­en durch das, was uns kurz­fri­stig be­la­stet. Die­ser wei­te Blick wird uns ge­wiss hel­fen, mo­men­ta­ne Pro­ble­me et­was leich­ter und ge­las­se­ner zu neh­men und zu ü­ber­win­den.

Las­sen wir al­so in die­sem Sin­ne zu Zei­chen her­aus­for­dern: zu Zei­chen un­se­res gu­ten Wil­lens.  

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 28. Februar 1999)

wnein@posteo.de    © Wolfgang Nein 2013