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Himmelfahrt (29.5.25)


Der Himmel und das Universum

21. Mai 2009

Himmelfahrt

Apostelgeschichte 1,9-11


Jesus fuhr gen Himmel. Kürzlich hat die Europäische Gemeinschaft einen Satelliten ins Weltall geschossen, der soll eineinhalb Millionen Kilometer weit fliegen und dann irgendwann Daten liefern, die Aufschluss über das schwarze Loch und den Urknall geben, darüber, wie das Universum entstanden ist und wie es eines Tages wieder vergehen wird. 

Wenn ich die Kinder in der Kinderandacht frage: „Wo ist der Himmel?“ zeigen sie automatisch nach oben. Und wenn ich sie frage: „Wo ist Gott?“ sagen sie automatisch: „Im Himmel.“ „Und wo ist der Himmel?“ „Da oben.“  

Diese räumlichen Vorstellungen werden uns auch durch den biblischen Himmelfahrtsbericht nahegelegt. Aber sie sind ein Problem. Sie sind zwar erklärlich. Sie haben zwar ihren nachvollziehbaren Grund. Denn Gott als Schöpfer von allem ist etwas so Großes, der braucht schon den größten vorhandenen Raum, und das ist eben der da oben, der Weltraum. In einen von Menschen gemachten Tempel passt der Schöpfer nicht hinein. Das hat der Prophet Jesaja so schön kindlich-bildhaft beschrieben: Allein der Saum vom Mantel Gottes füllte den Tempel.

Diese räumliche Vorstellung vom „Himmel da oben“ dürfen wir nicht überstrapazieren. Sie kann uns in die Irre führen. Sie kann uns auch erschaudern lassen. Das Weltall ist viel zu kalt und in seinen unendlichen Dimensionen erdrückend, nicht-menschlich, geradezu unmenschlich, da sind wir als Menschen schlichtweg so gut wie gar nichts mehr, nicht mal mehr ein Krümelchen, nicht mal mehr ein Staubkörnchen. 

Wir brauchen es aber, dass wir etwas sind. Denn das ist unser Schicksal: dass wir denkende und fühlende Wesen sind, dass wir ein Bewusstsein unserer selbst haben und ein Bewusstsein von diesem ganzen Sein. Es ist zum einen schön, dass wir denken und fühlen können. Aber wir merken dadurch auch, dass wir einsame Gestalten in der Unendlichkeit des Alls sind. Und das zu wissen und zu fühlen, würden wir auf Dauer ohne Schutz nicht aushalten. 

Die biblischen Texte haben der Kälte des unendlichen Seins ein warmes, menschliches Antlitz gegeben: Sie beschreiben uns den unfassbaren Schöpfer des Alls als einen Vater. An einigen wenigen Stellen vergleichen sie ihn auch mit einer Mutter. 

Und sie bringen uns den Schöpfer ganz nahe als einen Menschen, in der Zeit geboren, vor zweitausend Jahren, an einem benennbaren und besuchbaren Ort: Bethlehem - mit einem Leben, das dem unseren vergleichbar ist, mit Freud und Leid, mit einigen Besonderheiten allerdings, die unterstreichen: Mensch war er, aber doch nicht nur, sondern zugleich einer, der in sich etwas hatte von dem unendlich Großen, Unbegreifbaren.

Und er fährt gen Himmel. Aber er wird wiederkommen. So können wir den zum Abschied nach oben gerichteten Blick wieder nach unten richten, dahin, wo wir die irdischen Begrenzungen finden, die wir brauchen, um nicht zu zerfliegen in der Unendlichkeit des Alls. 

In gewisser Weise ist zwar der Himmel über uns auszuhalten, weil er sich wie eine blaue Glocke über die Erde wölbt. Das können wir sogar als schützend empfinden. Und das hat sogar etwas Schützendes, weil wir die Atmosphäre zum Leben brauchen. Und die Sonne am Himmel des tags - und der Mond und die Sterne am Himmel des nachts: Sie sind so schön anzuschauen und sie sind uns durch so viele Gedichte und Lieder zu lieben Freunden geworden! Das ist gut so. 

Die Weltraumfahrt und die ganze Wissenschaft haben uns die Beschaulichkeit ein wenig genommen. Die brauchen wir aber für unsere Seele, und die müssen wir uns immer wieder neu erwerben. 

Jesus ist gen Himmel gefahren. Wenn wir das hören und erzählen, können wir gern nach oben schauen - für einen Augenblick -  und uns hineintragen lassen in die geheimnisvolle Unendlichkeit des Seins. 

Aber dann, bevor wir uns gänzlich hinwegtragen lassen und verloren gehen im Unfassbaren und Haltlosen, tun wir gut daran, uns von den beiden Engeln leiten zu lassen, die Lukas in seiner Apostelgeschichte den Jüngern sagen lässt: "Was schaut ihr nach oben?! Jesus wird wiederkommen." Was sie sagen wollen, ist dies: „Kümmert euch um eure Tagesgeschäfte!“ 

Die Engel lenken die Aufmerksamkeit der Jünger wieder zurück in die Proportionen des Menschlichen, in den Raum des täglichen Lebens, der ja auch - das lehren uns die biblischen Texte - die Welt Gottes ist. 

Jesus ist gen Himmel gefahren, er ist zurückgekehrt in den Teil unseres Seins, aus dem heraus er uns zwar nicht mehr in leibhaftiger Individualität begegnet, aus dem heraus er für uns aber dennoch der Lebende bleibt.

„Du bist da, wo Menschen leben“, werden wir nachher singen. Da ist er: wo Menschen leben. Da ist er: wo Liebe ist, und da ist er: wo Menschen hoffen. Er ist im Himmel in uns und um uns.

Er ist in der Weise unseres Seins, aus der heraus sich unsere leibhaftige und materielle Existenz gebildet hat und zu der sie wieder werden wird. 

„Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser“ - so beginnt der biblische Schöpfungsbericht, der versucht, in Worte zu fassen, was vor allem Materiellen war. 

„Am Anfang war das Wort“, schreibt Johannes. 

Und der Philosoph sagt: „Vor der Existenz war die Idee.“ Bevor der Stuhl gebaut wurde, hatte einer den Stuhl im Kopf. 

Und so beschreibt es auch der andere biblische Schöpfungsbericht: Der göttliche Schöpfer trug den Menschen schon in sich. Dann nahm er Lehm und formte ihn nach seinem inneren Bild und blies der Lehmgestalt das Leben ein. 

Bevor ein Kind leibhaftig geboren wird - wie lange zuvor ist es schon existent - in den Gedanken und Wünschen und Hoffnungen der künftigen Eltern! Sie tragen den Himmel in sich als Vorraum des leibhaftigen Lebens und als Stätte, in der das gelebte Leben weiterlebt.

Gott, der Schöpfer, trug die Welt in seinem Herzen. Dann erschuf er sie. Er trug den Menschen in seinem Herzen und erschuf ihn nach seinem Bilde. Und er trug Jesus in seinem Herzen und ließ ihn leben an der Seite der Menschen bis zum Tod am Kreuz. Er ließ ihn auferstehen in den Herzen der Menschen und machte ihn zum inneren Bild eines neuen Lebens. 

In der Kälte des unendlichen Alls ist uns durch Christus ein Ort menschlicher Wärme gegeben, ein Raum der Geborgenheit, mit Begrenzungen, die uns Halt geben, und Zielen, an denen wir uns ausrichten können.  

Er ist der Himmel, auf den wir uns einlassen können, in den wir uns hineinbegeben können, in dem wir ihm begegnen und er uns begegnet und wo uns die Würde zuteil wird, die uns von Staubkörnchen des Weltalls in einzigartige Geschöpfe eines liebenden Schöpfers verwandelt.

Der Himmel ist die umfassende Weise des Seins, von der die leibhaftige und materielle Existenz nur das äußerliche Abbild ist. Die Farbe des Himmels ist mehr als das Blau  über uns. Der Himmel unseres Glaubens trägt die Farben der Liebe, die so bunt ist wie der schönste Blumengarten, der göttliche Garten des Menschlichen: voller Barmherzigkeit, und Güte, menschlicher Wärme, Geduld und Freundlichkeit und Frieden und Vergebung. 

Der Himmel des Glaubens ist in uns und um uns. Wir können uns in ihn hineinfallen lassen, um uns von den Belastungen des leibhaftigen und materiellen Seins zu erholen. 

Und er will aus uns heraus und immer wieder Gestalt annehmen im gelebten Leben. 

„Weißt du, wo der Himmel ist?“ fragt ein Kinderlied, „außen oder innen?“ und antwortet: „Eine Handbreit rechts und links - du bist mitten drinnen.“

Wir leben schon hier und jetzt im Himmel unseres Glaubens. Er ist die innere Weise unseres Seins. Der Himmel unseres Glaubens ist die Weise des Seins, aus der heraus unsere leibhaftige Existenz geworden ist. Er ist die Weise des Seins, zu der wir wieder werden und in der unsere leibhaftige Existenz immer geborgen bleibt.  

Die warme menschliche Leibhaftigkeit ist für uns grundlegend. Sie ermöglicht das Bewusstsein unserer selbst, sie macht es uns möglich, über das Wunder des Seins zu staunen, uns des Lebens zu freuen. Sie lässt uns allerdings auch Schmerz empfinden, füllt unser Hirn und Herz mit unbeantwortbaren Fragen, stellt uns vor unlösbare Probleme und legt uns eine Verantwortung auf, die wir nur in geringem Maße wahrzunehmen vermögen.

Das Glück von Sein und Haben führt unausweichlich zum Schmerz des Verlustes und des Abschieds. 

Das erfahren die Jünger Jesu zu Himmelfahrt. Das erfahren wir alle. 

Mit seiner menschlichen Nähe in Christus hat uns der Schöpfer den Himmel leibhaftig erfahren lassen. 

Lassen Sie uns das Unsre tun, ein wenig Himmel auf Erden erfahrbar zu machen.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 21. Mai 2009)

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