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6.-12.2.2022


Geschichte christlich auslegen?

Psalm 66,5


An den Wochenspruch schließt sich der Satz an: „Er verwandelte das Meer in trockenes Land, sie konnten zu Fuß durch den Strom gehen.“ Wir erinnern uns an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Der Rückblick auf die Geschichte ist hier der Anlass oder einfach das Material zum Lobpreis Gottes.

Geschichte kann so oder so ausgelegt werden. Die biblischen Autoren sehen in der geschichtlichen Entwicklung Gott am Werke. Die Grundlinie, die sie ausgemacht haben, ist der Weg zum Heil: Durch alle Irrungen und Wirrungen hindurch führt Gott die menschliche Geschichte auf ein gutes Ende zu. Die Erfahrungen von Rettung und Bewahrung geben Anlass zu Dank und Lobpreis, die Erfahrungen der Not sind Anlass zur Bitte, zur kritischen Selbstprüfung, zur Buße, zur Umkehr. 

Die Auslegung der Geschichte als des Weges Gottes mit den Menschen birgt Gefahren in sich, die Gefahr z. B., dass die politische Entwicklung und der Weg der Kirche in eins gesetzt werden, so wie es zur Zeit des Dritten Reichen geschah, als von nicht wenigen versucht wurde, Volk und Kirche zur Deckung zu bringen und das Schicksal beider miteinander zu verknüpfen. Das ging z. B. bei dem Theologen Paul Althaus, der am heutigen Tage seinen 104. Geburtstag hat, so weit, dass er sich 1931 gegen ökumenische Bemühungen um Völkerverständigung wandte, indem er in einem öffentlichen Aufruf nachdrücklich bekannte, „dass eine christliche und kirchliche Verständigung und Zusammenarbeit in den Fragen der Annäherung der Völker unmöglich ist, solange die Anderen eine für unser Volk mörderische Politik gegen uns treiben."

Bonhoeffer, der ebenfalls heute Geburtstag hat - er wäre 86 geworden, sah die Dinge anders. Er war in der ökumenischen Bewegung aktiv und setzte sich für die Völkerverständigung ein. Er sah gewiss auch die Geschichte vom letztlichen Heilwillen Gottes durchwaltet, aber er sah den göttlichen Willen nicht in einer bestimmten nationalen Politik vertreten. Er hielt an der Unabhängigkeit seines Glaubens fest, daran, dass allein die in Jesus Christus offenbarte Liebe Gottes Leitfaden zur Auslegung der Geschichte und zur Anleitung des eigenen Verhaltens sein könnte. 

Es ist schon fundamental wichtig, welche Überzeugung in der Mitte unseres Glaubens steht, denn von der Mitte her, ergibt sich alles Weitere. Wenn die Liebe Gottes zu allen Menschen die Mitte des Glaubens bildet, dann wird von daher jede politische, jede gesellschaftliche Entwicklung zu beurteilen sein. Das wird nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führen. Aber es werden doch Warnlampen in uns aufleuchten bei jeder Art von Menschenverachtung.

(Morgenandacht von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 4.2.1992)

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