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4. Sonntag nach Trinitatis (2.7.23)


Wir sind zu vorbildlichem Verhalten berufen

16. Juli 2000

4. Sonntag nach Trinitatis

1. Petrus 3,8-15a(15b-17


Der heu­ti­ge Pre­digt­text in 1. Pe­trus 3 ent­hält ei­ne Mah­nung an die Ge­mein­de, ei­ne Auf­for­de­rung an die Ge­mein­de, sich so zu ver­hal­ten und nicht an­ders. Wir kön­nen die­se Mah­nung oder Ver­hal­ten­semp­feh­lung ein­mal so ver­ste­hen, als wä­re sie di­rekt an uns als Ge­mein­de St. Mar­kus ge­rich­tet. Be­vor ich den Text le­se, könn­ten wir uns aber selbst fra­gen: „Wie soll­ten wir als Ge­mein­de denn sein?“ Und mit Ge­mein­de mei­ne ich jetzt all die Men­schen, die sich in ir­gend­ei­ner Wei­se St. Mar­kus so ver­bun­den füh­len, dass an­de­re sa­gen wür­den: „Der - oder die - ge­hört zu St. Mar­kus.“ Das könn­ten al­so Mit­ar­bei­ter sein, haupt­amt­li­che oder eh­ren­amt­li­che, al­le, die hier ei­ne klei­ne oder grö­ße­re Auf­ga­be über­nom­men ha­ben, und al­le, die hier mehr oder we­ni­ger re­gel­mä­ßig in den di­ver­sen Ver­an­stal­tun­gen der Ge­mein­de auf­tau­chen, sodass, wie ge­sagt, Au­ßen­ste­hen­de mei­nen, den oder die Be­tref­fen­de mit der Ge­mein­de iden­ti­fi­zie­ren zu dür­fen.

Ma­chen wir uns mal den Blick von au­ßen zu ei­gen. Ge­ra­de dann wird näm­lich schnell deut­lich, dass ei­ne Ge­mein­de ei­ne An­samm­lung von Men­schen dar­stellt, von de­nen zu­min­dest er­war­tet wird, dass sie sich in ei­ner be­stimm­ten Wei­se ver­hal­ten. An ei­ne Ge­mein­de wer­den – und, wie ich fin­de, zu­recht - er­höh­te An­for­de­run­gen ge­stellt, was das Ver­hal­ten der ihr zu­ge­hö­ri­gen Men­schen an­be­trifft.

Wie die Re­a­li­tä­ten dann aus­se­hen, ist ei­ne an­de­re Fra­ge. aber dass da zu­nächst ein­mal Stan­dards sind - so und so soll­ten wir sein und so und so soll­ten wir nicht sein -, das lässt sich nicht leug­nen, und das hat auch sei­ne Rich­tig­keit. Wenn wir uns jetzt mal nach die­sen Stan­dards fra­gen, dann kom­men wir, ver­mu­te ich, ganz schnell auf die­sel­ben Ver­hal­ten­semp­feh­lun­gen, die uns in un­se­rem Pre­digt­text ge­ge­ben wer­den. Da heißt es näm­lich - ich fas­se das mal zu­sam­men:

„Seid un­ter­ein­an­der ei­nig, seid mit­füh­lend, seid brü­der­lich, barm­her­zig, de­mü­tig, ver­gel­tet nicht Bö­ses mit Bö­sem, son­dern segnet viel­mehr. Hü­tet euch da­vor, dass eu­re Zun­ge Bö­ses re­det, dass eu­re Lip­pen be­trü­gen. Wen­det euch vom Bö­sen ab und tut Gu­tes, sucht den Frie­den, seid ge­recht.“

So gut kön­nen wir gar nicht sein, wie hier von uns er­war­tet wird, aber mit die­sen Stan­dards ist doch ein Ziel an­ge­ge­ben, auf das hin wir uns als Ge­mein­de be­mü­hen könn­ten und soll­ten.

Wir könn­ten nun die ein­zel­nen Stan­dards di­sku­tie­ren. „Seid un­ter­ein­an­der ei­nig!“ Viel­leicht wür­de da der ei­ne oder an­de­re sa­gen: „Es muss doch auch in ei­ner Ge­mein­de mög­lich sein, un­ter­schied­li­che Mei­nun­gen und Po­si­tio­nen zu ver­tre­ten.“ Ja, si­cher! Aber wenn es zu rich­ti­gem Streit, zu tief­sit­zen­dem und dau­er­haf­tem Streit kommt, dann wä­re das ei­ner Ge­mein­de ge­wiss un­an­ge­mes­sen. Die Be­reit­schaft, ei­nen Kon­flikt zü­gig und nach­hal­tig zu lö­sen, soll­te in ei­ner Ge­mein­de be­son­ders groß sein.

Na­tür­lich soll­te sich je­der - auch au­ßer­halb ei­ner Kir­chen­ge­mein­de - um Fried­fer­tig­keit und Ver­söh­nungs­be­reit­schaft be­mü­hen. Aber ge­ra­de uns wird es be­son­ders übel ge­nom­men, wenn es bei uns nicht klappt. Als christ­li­che Ge­mein­de ha­ben wir ei­ne ge­wis­se Vor­bild­funk­tion. Das macht auch ei­nen gu­ten Teil un­se­rer ge­sell­schaft­li­chen Be­deu­tung aus. Die Ge­sell­schaft braucht die Kir­che, braucht die Kir­chen­ge­mein­den, in de­nen sich die dort zu­ge­hö­ri­gen Men­schen in be­son­de­rer Wei­se be­mü­hen, ho­he Stan­dards des mit­mensch­li­chen Um­gangs zu er­fül­len. Un­se­re Ge­sell­schaft wä­re mög­li­cher­wei­se viel un­mensch­li­cher, viel käl­ter, wenn es die Kir­chen­ge­mein­den nicht gä­be.

„Seid mit­füh­lend, barm­her­zig, brü­der­lich“, sa­gen wir bes­ser: „ge­schwi­ster­lich!" Als Chri­sten könn­ten wir nie­mals das Recht des Star­ken gel­ten las­sen. Es ist vom We­sen un­se­res Glau­bens her un­ser Auf­trag, uns mit be­son­de­rer Auf­merk­sam­keit den Schwa­chen und Be­nach­tei­lig­ten zu­zu­wen­den. Wer stark ist, wer be­son­ders be­gabt oder be­gü­tert ist, der soll sei­ne Vor­zü­ge nicht nur selbst ge­nie­ßen, der ist viel­mehr da­zu auf­ge­ru­fen, sei­ne Ga­ben auch zum Woh­le an­de­rer ein­zu­set­zen. Der Ego­is­mus steht ei­nem Chri­sten nicht gut zu Ge­sich­te. Der steht na­tür­lich nie­man­dem gut zu Ge­sich­te. Aber wenn wir das in die­ser all­ge­mei­nen Form so emp­fin­den, dann eben des­halb, weil christ­li­che Stan­dards doch auch heu­te noch ei­ni­ger­ma­ßen in un­se­rer Ge­sell­schaft ver­wur­zelt sind - als All­ge­mein­gut so­zu­sa­gen. Das kann aber auch ver­lo­ren­ge­hen.

Es kann sich in ei­ner Ge­sell­schaft auch der Ego­is­mus als Stan­dard durch­set­zen. Das wä­re schreck­lich. Viel­leicht ist das in der Pra­xis weit­ge­hend so­gar schon so. Wir müs­sen ja auch un­ter­schei­den zwi­schen dem, was wir - zu­min­dest in der The­o­rie - noch für gut und rich­tig hal­ten, und dem, was prak­ti­ziert wird, was wir viel­leicht selbst prak­ti­zie­ren - nach dem Mot­to: Mit­mensch­lich­keit ist mehr was für die Sonn­tags­re­de und Ego­is­mus ist mehr was für das wah­re Le­ben. „Ich bin doch nicht blöd“, wird auch als ein Ar­gu­ment für den Ego­is­mus ge­nom­men. The­o­lo­gisch et­was vor­neh­mer for­mu­liert, spricht man von der „Tor­heit des Kreu­zes“, was eben so viel heißt wie: Sich für an­de­re ein­set­zen, für an­de­re gar per­sön­li­che Op­fer brin­gen, ist dumm.

Es ist ja auch wahr, dass der mit­füh­len­de, ge­schwi­ster­li­che, barm­her­zi­ge Ein­satz für an­de­re ei­nem nicht un­be­dingt Vor­tei­le bringt, oft­mals nicht ein­mal Dank und statt des­sen nicht sel­ten so­gar Nach­tei­le und Ent­täu­schun­gen. „Näch­sten­lie­be lohnt sich nicht“, möch­te manch ei­ner manch­mal viel­leicht sa­gen. Aber sol­che Ent­täu­schun­gen dür­fen nicht das Leit­mo­tiv un­se­res Ver­hal­tens wer­den. Je­sus Chri­stus ist ge­kreu­zigt wor­den. Ihm ist sein Ein­satz für den Men­schen auch nicht ge­dankt wor­den. Den­noch hat er an sei­ner Lie­be zu den Men­schen fest­ge­hal­ten. Das macht ja ge­ra­de das Schö­ne und Wun­der­ba­re des christ­li­chen Glau­bens aus, die­ses „Den­noch“, die­ses lie­be­vol­le Den­noch. Wenn wir un­ser Ver­hal­ten nach all den un­er­freu­li­chen Er­fah­run­gen des All­tags aus­rich­ten wür­den, dann wür­de uns das Le­ben bald nicht mehr viel Freu­de be­rei­ten.

Ent­täusch­te, ver­bit­ter­te, re­signier­te, nur noch auf sich selbst be­zo­ge­ne Men­schen ma­chen kei­ne gu­te Ge­sell­schaft. Nein, es ist wich­tig, dass wir schö­ne, heh­re, er­ha­be­ne Zie­le vor Au­gen ha­ben; die dür­fen ru­hig weit über die Re­a­li­tä­ten hin­aus­wei­sen. Mit­mensch­lich­keit, Barm­her­zig­keit, Lie­be, Frie­den, das sind in ge­wis­ser Wei­se mehr Zie­le als Re­a­li­tä­ten. Sie ge­ben uns ei­ne Rich­tung an, in die zu ge­hen sich lohnt. Es lohnt sich - nicht un­be­dingt so­fort in ba­rer Mün­ze und un­mit­tel­ba­rem Er­folg -, aber doch in dem Sin­ne, dass un­ser Le­ben ei­nen Sinn und ei­ne Wür­de er­hält.

Ich möch­te lie­ber im Be­mü­hen um Näch­sten­lie­be ent­täuscht wer­den, als ein er­folg­rei­cher Ego­ist sein. Chri­stus ist an der Lie­be ge­schei­tert. Aber dass er den­noch an der Lie­be fest­ge­hal­ten hat, hat ihn zum Hoff­nungs­trä­ger der Mensch­heit ge­macht. Das macht das Fro­he an der fro­hen Bot­schaft des Neu­en Te­sta­ments aus.

Um noch­mal auf un­se­re Kir­chen­ge­mein­de zu­rück­zu­kom­men: Von uns wird viel er­war­tet, und wir selbst soll­ten auch viel von uns er­war­ten. Wir soll­ten un­se­re Stan­dards hochhal­ten und un­ser Be­stes ge­ben, sie zu er­fül­len. Na­tür­lich wer­den wir - auch beim be­sten Wil­len - im­mer hin­ter un­se­ren gu­ten Ab­sich­ten zu­rück­blei­ben und nur un­voll­kom­men das ver­wirk­li­chen, was wir für gut und rich­tig er­kannt ha­ben. Aber das Ver­sa­gen, das Schei­tern wird uns ja nach­ge­se­hen, und wir dür­fen im­mer wie­der ei­nen neu­en An­fang ma­chen.

Wir wer­den nach­her das Abend­mahl feiern. Da ste­hen wir dann im Kreis als die­je­ni­gen, die un­voll­kom­men und feh­ler­haft sind und die den­noch ge­liebt und an­ge­nom­men sind. Wir ste­hen dann im Kreis um den­je­ni­gen he­rum, der uns trotz all un­se­rer Un­voll­kom­men­hei­ten für wert be­fun­den hat, sich bis zur Hin­ga­be sei­nes Le­bens für uns ein­zu­set­zen. Wir neh­men ihn, Je­sus Chri­stus, in der Ge­stalt von Brot und Wein in uns auf, weil er selbst uns mit sei­ner Kraft stär­ken möch­te aus un­se­rem In­ne­ren her­aus.

Manch­mal sa­gen wir, wenn je­mand des Öf­te­ren et­was Ge­mei­nes sagt oder tut: „In dem steckt wohl ein klei­nes Teu­fel­chen.“ Der klei­ne Teu­fel steckt viel­leicht in je­dem von uns ir­gend­wo. Aber von dem dür­fen wir uns nicht re­gie­ren las­sen. Es ist doch bes­ser, wir ha­ben je­mand an­de­ren in uns, der un­ser Ver­hal­ten be­stimmt. Und den eben neh­men wir zei­chen­haft durch das Brot und den Wein des Abend­mahls in uns auf.

Es kom­men al­so in ei­ner Kir­chen­ge­mein­de zwei Din­ge zu­sam­men: zum ei­nen ein ho­her An­spruch an das Ver­hal­ten der ihr zu­ge­hö­ri­gen Men­schen und zum an­de­ren das Ver­trau­en, sich trotz al­ler mensch­li­chen Un­voll­kom­men­hei­ten ho­he Zie­le set­zen zu dür­fen und zu sol­len und bei Ver­sa­gen im­mer wie­der ei­nen neu­en Ver­such ma­chen zu dür­fen. „Seid al­le­zeit zur Ver­ant­wor­tung be­reit“, heißt es auch in un­se­rem Pre­digt­text. Je­dem sei Dank, der mit gu­ten Zie­len und mit Mut und Ver­trau­en Ver­ant­wor­tung für un­se­re mensch­li­che Ge­mein­schaft über­nimmt.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 16. Juli 2000)

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