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9. Sonntag nach Trinitatis (6.8.23)


„Du bist ein Schatz!“

5. August 2007

9. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 13,44-46


Wir haben hier zwei Gleichnisse vor uns. Jesus hat oft Gleichnisse erzählt, um seine Aussage mit Bildern anschaulich zu machen. Es ist aber nicht immer ganz einfach, die Bilder zu interpretieren. Auch die Jünger hatten damit ihre Schwierigkeiten. „Was soll das Gleichnis bedeuten?“, fragten sie ihn dann. Und Jesus musste seinem Gleichnis noch die Auslegung hinzufügen. 

In unserem heutigen Predigtabschnitt geht es um zwei Gleichnisse. Sie sollen etwas aussagen über das Himmelreich. „Das Himmelreich gleicht einem ...“ - und dann folgen diese beiden kleinen Gleichnisse. Sie benutzen verschiedene Bilder für dieselbe Aussage. Deshalb beschränke ich mich jetzt auf das erste Gleichnis, das vom Schatz im Acker. 

Da ist ein Mann, ein Landarbeiter vielleicht, der geht über ein Feld und findet einen Schatz. Vielleicht war er dabei, den Acker zu pflügen. Es mag sein, dass der Pflug ein Gefäß an die Oberfläche befördert hat, vielleicht einen Tonbehälter voller Münzen.

Ein solcher Fund wäre in jener Zeit gar nicht etwas so Ungewöhnliches gewesen. Denn in Palästina gab es schon damals immer wieder kriegerische Unruhen. Da sahen sich die Bewohner oft genug veranlasst, ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Etwas zu vergraben, galt als sicheres Versteck. So mag es also zu diesem Fund gekommen sein.

Der Mann ist außerordentlich erfreut über seine Entdeckung. Wie kann er nun Eigentümer dieser Wertsachen werden? Der Acker gehört ihm nicht, und damit auch nicht all das, was sich auf und in dem Acker befindet. Der Mann beschließt, den Acker käuflich zu erwerben. Er scheint kein reicher Mann zu sein. Er muss seine ganze Habe drangeben, um den Kaufpreis für den Acker aufzubringen. 

Aber er tut dies mit Freuden - in der Gewissheit, dass sich die Investition lohnt. Er weiß: Was er aufgibt, ist zwar viel, nämlich alles, was er hat. Aber was er dann erwirbt, wird viel mehr sein als das, was zuvor sein Eigen war.

Der Mann kann sich glücklich schätzen. Er hätte den Schatz niemals erwerben können, wenn er seinen wahren Wert hätte bezahlen müssen. Durch glückliche Umstände wird ihm hier etwas zuteil, was er sich eigentlich nicht leisten kann, was sein Vermögen übersteigt. Ein Geschenk des Himmels, so mag er das empfunden haben.

So ist es mit dem Himmelreich, sagt Jesus. Das Himmelreich ist ein so wunderbarer Schatz, dass es sich lohnt, alles dranzugeben, um es zu erlangen. Denn was wir durch das Himmelreich empfangen, wird mehr sein, als wir dafür aufgegeben haben.

Es bleibt die Frage, was es mit dem Himmelreich konkret auf sich hat. Klar ist durch das Gleichnis nur, dass es sich um etwas sehr Wertvolles handelt, das den ganzen Einsatz lohnt.

Vielleicht hilft es zum Verständnis, wenn wir den Begriff Himmelreich einmal ganz profan betrachten. Was meinen wir, wenn wir in unserer Umgangssprache z. B. vom „Himmel auf Erden“ sprechen oder wenn ein Werbeplakat ein Produkt mit eben dieser Formulierung anbietet: "Der Himmel auf Erden!"? Dann muss es sich um etwas exzeptionell Wunderbares handeln. 

Was meinen wir, wenn wir gar vom „siebten Himmel“ reden? Wir meinen einen wunderbaren Zustand der Glückseligkeit, einen Zustand, der sich von unserem alltäglichen Leben mehr als wohltuend unterscheidet. Wir meinen einen geradezu außerweltlich schönen - eben „himmlischen“ - Zustand. 

In manchen Augenblicken des Lebens können wir zumindest eine Ahnung davon bekommen, was das sein könnte. Solche Erfahrung ist dann ein großes Glück. Wir würden die Zeit dann am liebsten anhalten und uns wünschen: So müsste es immer sein! Wir wären dann vielleicht bereit, alles zu tun, um diesen Zustand auf immer zu bewahren.

Wenn wir vom siebten Himmel reden, dann meinen wir in der Regel das Glück einer tiefen Liebesbeziehung, das Glück eines frisch verliebten Paares vielleicht.

Wie kann es zu diesem Glück gekommen sein? Es könnte sich ähnlich wie im Gleichnis vom Schatz im Acker zugetragen haben: Da geht einer durch die Welt - ich betrachte die Sache jetzt mal von der Seite des Mannes her - und entdeckt eines Tages eine Frau, von der er überzeugt ist, dass sie die Frau seines Lebens sei - dass sie es ist. In seiner großen Freude über diesen glücklichen Fund setzt er alles daran, um aus dieser zufälligen Begegnung eine dauerhafte Beziehung zu machen. „Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen“, sagt die Bibel und bringt damit zum Ausdruck: Die Beziehung zu diesem einen geliebten Menschen erlangt die oberste Priorität und ist den ganzen Einsatz wert und die Aufgabe von vielem, was einem bis dahin wichtig gewesen ist. 

(Meine Frau wäre mit mir damals bis in den argentinischen Chaco gegangen, was wirklich die Aufgabe von vielen zivilisatorischen Bequemlichkeiten bedeutet hätte, denn der Chaco im Norden Argentiniens ist ein ziemlich abgelegenes und unwirtliches Gebiet. Aber das war ja nicht nötig. Statt dessen habe ich meine Arbeit in Cuxhaven aufgegeben und bin nach Hamburg gekommen in diese Gemeinde, weil meine Frau in Hamburg studierte.) Das jetzt nur in Klammern.

Wenn ein Paar sagt, es befinde sich im siebten Himmel, will es zum Ausdruck bringen: Etwas Schöneres und Größeres kann es für uns nicht geben. Wenn die beiden heiraten, ist das auch ein Schritt, der in gewisser Weise durchaus dem Einsatz des Mannes in unserem Gleichnis vergleichbar ist. Denn der Schritt in die Ehe bedeutet auch: Vollständige Hingabe von allem, was wir sind und haben mit der Perspektive, dass wir noch mehr empfangen werden, als wir eingebracht haben: Dieses Mehr ist das gemeinsame Glück. 

Der Himmel ist im persönlichen Bereich der Inbegriff höchsten Glücks. Im überindividuellen Bereich ist der Himmel Inbegriff einer Welt, die sich von unserer gegenwärtigen erfahrbaren Welt grundlegend unterscheidet. Der Himmel - das ist die heile Welt, in der keine Tränen mehr vergossen werden, weil einer dem anderen ein Leid zufügt. Es ist eine Welt nach dem Willen Gottes, in der Frieden herrscht und Wohlergehen, Eintracht unter den Geschöpfen und ein Miteinander in Liebe. Wir leben nicht in einer solchen Welt. Sie ist als Realität auch kaum vorstellbar. Aber sie ist Gegenstand unserer Sehnsucht. Wir haben eine Ahnung von ihr. In manchen flüchtigen Augenblicken unseres Lebens meinen wir, einen Vorgeschmack real erlebt zu haben. 

Wenn wir den Schlüssel zum Himmel in diesem Sinne bei unserem Gang über den Acker unserer Welt fänden, würden wir dann nicht glauben, einen großen Schatz gefunden zu haben? Und würden wir für diesen Schatz in unserer Freude dann nicht alles andere hergeben? 

Jesus meint mit dem Schatz im Acker den Schlüssel zum Himmelreich, zum Reich Gottes. Welcher Art ist dieser Schlüssel? Der Schlüssel zum Himmelreich besteht nicht in Geld und nicht in sonstigen materiellen Werten. Den Eintritt in das Reich Gottes können wir uns nicht erkaufen. Der Schatz ist anderer Natur. Er besteht in der Person Jesu Christi. Jesus Christus ist der verborgene Schatz im Acker unserer Welt. Er ist der Schlüssel zum Reich Gottes. Seine Liebe schließt uns den Himmel auf. Wer das erkannt hat, der wird Jesus Christus höchste Priorität in seinem Leben einräumen - nicht im Sinne eines dogmatischen Glaubens, sondern im Sinne einer ernsthaften Bereitschaft, sein Leben im Geiste der Liebe Jesu Christi zu führen. 

Nicht jeder vermag die große Bedeutung Jesu Christi zu erkennen. Darum ist er einem verborgenen Schatz vergleichbar. Aber wer ihn entdeckt hat, der wird sich glücklich schätzen, wie der Mann unseres Gleichnisses. 

Die Auslegung des Gleichnisses könnte an dieser Stelle abgeschlossen werden. Aber das Evangelium, die gute Botschaft des Neuen Testaments, drängt auf einen weiteren Schritt, mag er auch fast töricht erscheinen - es wäre die Torheit unseres Glaubens. 

Wir brauchen uns in diesem Gleichnis nicht nur mit dem Mann zu vergleichen, der den Schatz findet. Wir finden nicht nur, wir werden auch gefunden - was ja auch für jede Liebesbeziehung gilt. 

Wir sind nicht nur der Mann, der über den Acker geht und den Schatz entdeckt. Wir können auch der Schatz im Acker sein. Das können Sie sein, das kann ich sein, dass kann er oder sie sein, ein jeder von uns. Ich habe einmal einige gefragt: „Hat zu Ihnen schon mal jemand gesagt: ‚Mein Schatz!’?“ Einige antworteten: „Ja.“ Einige andere sagten: „Nein, noch nie!“ Wir können uns glücklich schätzen, wenn uns jemand gefunden und uns als Schatz entdeckt hat.

Aber auch abgesehen von allen menschlichen Beziehungen sollen wir alle wissen, dass wir Schätze Gottes sind. Denn er hat uns alle gern. Er hat Jesus Christus in die Welt gesandt wie den Mann über den Acker. Und Jesus Christus hat uns Menschen im Acker dieser Welt als einen großen Schatz entdeckt. Was allen anderen verborgen war, hat er entdeckt. Was andere übersehen und für wertlos gehalten und gering geschätzt haben, den Menschen, den Mitmenschen, dieses unvollkommene, fehlerhafte und schuldbeladene Wesen - das hat er als einen großen Schatz entdeckt. Für diesen Schatz hat er alles hingegeben. Er hat sein ganzes Leben für diesen Schatz, den Menschen, hingegeben. Was für uns nur einer tun würde, derjenige, dem wir ein und alles bedeuten, der uns von ganzem Herzen liebt, das hat Jesus Christus für einen jeden von uns getan. Das hat Gott für uns getan. Seinen einzigen Sohn, Jesus Christus, hat er für uns hingegeben. 

Es ist eigentlich unglaublich - und doch ist es die Botschaft des Neuen Testaments, die uns zum Glauben herausfordert: dass wir in den Augen Gottes der große Schatz sind. „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“, fragt ganz erstaunt der Dichter eines Psalms. Das aber macht gerade das Himmelreich aus: dass wir so hoch wertgeschätzt werden, dass Jesus Christus als Gottes Sohn sich für uns hingegeben hat. 

Wenn auch wir einander doch mit solchen Augen sehen könnten: dass wir den anderen nicht nur als den belanglosen und manchmal lästigen Jedermann wahrnehmen, sondern in ihm den Schatz entdecken! Das hieße, den Mitmenschen mit den Augen der Liebe Gottes betrachten. Solche Sichtweise wünsche ich uns allen. Sie wird uns gewiss Großes entdecken lassen. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 5. August 2007)

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