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1. Sonntag nach Trinitatis (11.6.23)


Ist soziale Ungleichheit akzeptabel?

18. Juni 2006

1. Sonntag nach Trinitatis

Lukas 16,19-31


Das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus möchte ich jetzt in einen Zusammenhang mit unseren partnerschaftlichen Beziehungen zur Gemeinde Uyole in Tansania stellen. 

Allerdings möchte ich das Gleichnis nicht so auslegen, dass wir als St. Markus in Deutschland darin der reiche Mann sind und die Gemeinde Uyole in Tansania der arme Lazarus ist und wir in die Hölle kommen, wenn wir der Gemeinde Uyole nicht helfen und die Gemeinde Uyole in den Himmel kommt, weil sie so arm ist. Verzeihen Sie, wenn ich mich so schlicht ausdrücke. 

Deutschland ist zwar vergleichsweise ein reiches Land. Und Tansania ist vergleichsweise ein armes Land. Und unsere Kirchengemeinde St. Markus ist im Vergleich zur Gemeinde Uyole wohlhabend. Ob sich aus diesem sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Niveau für uns aber eine Verpflichtung im Sinne des Gleichnisses vom reichen Mann und dem armen Lazarus ergibt, der Gemeinde Uyole materiell zu helfen, möchte ich einmal als Frage aufwerfen. 

In einer so extremen Notlage wie der des armen Lazarus, der voller Geschwüre ist, vor der Tür liegt und gerade noch die Kraft zum Betteln hat - in einer solchen extremen Notlage befindet sich die Gemeinde Uyole nicht. Im Verhältnis unserer Gemeinden zueinander geht es mehr um das Thema der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit. Die Gemeinde Uyole ist zwar vergleichsweise erheblich ärmer als St. Markus. Aber die Gemeinde ist wirtschaftlich und sozial intakt - auf einem sehr niedrigen, aber landesüblichen Niveau. 

Was kann uns also diesbezüglich das biblische Gleichnis sagen?

Das Gleichnis bringt eine wichtige Aussage auf den Punkt: nämlich die soziale Verantwortung des Reichen gegenüber dem Armen. Es mahnt und warnt die Reichen und droht ihnen Höllenqualen im Jenseits an, wenn sie ihre soziale Verantwortung nicht wahrnehmen. Dem Armen, der zu seinen Lebzeiten Not gelitten hat, verspricht das Gleichnis Trost und Linderung und eine letzte Gerechtigkeit, indem es ihm den Einzug ins himmlische Paradies in Aussicht stellt. 

Der Hinweis auf die soziale Verantwortung des Reichen ist wichtig - und immer wieder vonnöten. Denn so ganz selbstverständlich wird soziale Verantwortung nicht immer wahrgenommen. 

Die Frage ist aber, ob soziale Verantwortung auch die Verpflichtung bedeutet, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten auszugleichen. 

Wir, die wir hier im Gottesdienst versammelt sind, haben auch unterschiedlich viel Geld auf dem Konto und in der Haushaltskasse. Vielleicht sind einige von uns als reich, einige andere vielleicht als arm zu bezeichnen. Ergibt sich aus diesen Unterschieden, dass die Wohlhabenderen von uns den ärmeren unter uns etwas abgeben müssten?

Ich finde, diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, sofern jeder von uns das zum Leben Erforderliche zur Verfügung hat, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau. In unserem Sozialstaat ist für jeden das Existenzminimum gesichert. In Tansania ist das zwar nicht so. Dort ist der Einzelne bzw. die Familie, der Familienverband noch sehr gefordert. Das scheint innerhalb der Gemeinde Uyole insgesamt noch ganz gut zu funktionieren - nicht zuletzt wohl auch mit Hilfe der Gemeinde Uyole. 

Die grundsätzliche Frage ist, ob ein gewisses Maß an sozialen und wirtschaftlichen Unterschieden akzeptabel und verantwortbar ist - auch im christlichen Sinne. 

Auf unsere partnerschaftliche Beziehung zu Uyole bezogen lautet die Frage: Könnte - und vielleicht sollte - nicht der Schwerpunkt unserer Beziehung zueinander auf einer anderen als der sozialen und wirtschaftlichen Ebene liegen, also z. B. auf der Ebene des Gedankenaustausches und der gegenseitigen Besuche, wobei wir da ja durchaus den finanziellen Teil übernehmen können, wie wir das für den Besuch im August auch vorhaben?

Ich möchte die Frage jetzt mit Ja beantworten. Ja, der eigentliche Bestandteil unserer partnerschaftlichen Beziehung kann und sollte das Inhaltliche sein. Das wäre auch im christlichen Sinne vertretbar. 

Allerdings schließt das nicht aus, dass wir uns dann dennoch auch materiell, finanziell für die Gemeinde engagieren - dann aber vielleicht aus Freude über die Partnerschaft, aus Dankbarkeit für die partnerschaftlichen Beziehungen und aus dem Wunsch heraus, das an Gaben einzubringen, was wir anzubieten haben. So, wie wir umgekehrt gern das von unseren Partnern annehmen, was diese uns zu geben haben. 

Im Sinne der inhaltlichen Gestaltung unserer partnerschaftlichen Beziehung haben wir von Anfang an alljährlich den Partnerschaftsgottesdienst Mitte Juni gefeiert - teilweise sogar in Absprache der Lieder und Texte. Wir haben einander Briefe geschrieben, haben uns gegenseitig besucht und haben dabei in den vielen persönlichen Gesprächen viel über das Leben und den Glauben der Partner erfahren.

Wir haben Geschenke aus Uyole empfangen. Und wir haben der Gemeinde Uyole Geschenke zukommen lassen. Einmal haben wir sogar eine Glocke nach Uyole geschickt, weil dort bis dahin mit einer Autofelge zum Gottesdienst eingeladen worden war. Die Glocke haben wir übrigens mit der Inschrift versehen "St. Markus, Hamburg - Uyole - Epheser 4,5". In dieser Bibelstelle steht: "Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe", ein Bibelwort, das die gemeinsame Grundlage unserer beiden Gemeinden auf eine knappe Formel bringt.

Wir haben auch einmal Abendmahlsgerät nach Uyole geschickt - mit einer damaligen Kirchenvorsteherin, die 1991 mit einer Delegation des Kirchenkreises zum 100jährigen Jubiläum der Mission in Tansania nach Tansania gereist war. 

Auch Spielzeug haben wir nach Uyole geschickt. Denn es gibt in Uyole einen Kindergarten, der zu unseren Ehren "St. Markus - Kindergarten" heißt. 

So wir haben uns gegenseitig Geschenke geschickt und bei Besuchen überreicht - als freudiger und dankbarer Ausdruck unserer Partnerschaft. 

Wir überweisen auch jedes Jahr Geld nach Uyole - für die diversen Arbeitsbereiche der Gemeinde und auch zur Unterstützung spezieller Projekte der Gemeinde, z. B. den Bau einer Veranstaltungshalle, die inzwischen in Betrieb ist. 

Diese Geldmittel sind aber, und damit komme ich auf unseren Predigttext zurück, nicht im Sinne des Gleichnisses vom reichen Mann und dem armen Lazarus zu verstehen. Denn es geht nicht um die christliche Pflicht zur Hilfe in einer existentiellen Not. Es geht bei unserer finanziellen Unterstützung um die partnerschaftliche Anteilnahme an der Arbeit und den Projekten der Gemeinde Uyole. Wir setzen dafür eben die Gaben ein, die uns zur Verfügung stehen. Dazu gehört eben auch Geld. Und wenn wir Sie heute um eine Kollekte zugunsten von Uyole bitten werden, dann weil wir Sie gern mit einbeziehen möchten in die partnerschaftliche Beziehung zu den Menschen in Uyole. 

Sozial und wirtschaftlich sind wir zwei sehr verschiedene Gemeinden. Menschlich und in den Dingen des Glaubens befinden wir uns aber auf einer Ebene. Und auf dieser Ebene wollen wir unsere Beziehung zueinander pflegen - in gegenseitiger Anerkennung, mit Respekt und Zuneigung und im gemeinsamen Lobpreis Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 18. Juni 2006)

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