Predigt, Predigten, Predigtsammlung, Bibelauslegung, Andachten, Morgenandachten, Wochenspruch, Wochensprüche, Hoheluft, Hamburg-Hoheluft, Wolfgang Nein, St. Markus

2. Sonntag nach Trinitatis (18.6.23)


Das Konfliktive im Guten

21. Juni 2009

2. Sonntag nach Trinitatis

Lukas 14,(15)16-24


Der christliche Glaube ist etwas sehr Schönes. Der zentrale Inhalt seiner Botschaft ist die Liebe. Das ist doch wunderbar. Trotzdem hat der christliche Glaube viel mit Konflikten zu tun. Das ist auch unvermeidlich. Das ist wie mit Licht und Schatten. Es gibt das eine nicht ohne das andere.

Vielleicht haben Sie gerade gedacht: „Licht ist das Gute, Schatten ist das Schlechte.“ Das empfinden wir in unseren Breiten ganz automatisch so. Damit fängt das Problem schon an. Es verlangt einem eine gewisse innere Disziplin ab, nicht gleich zu werten und zu urteilen. Wenn wir spontan doch werten und urteilen, dann erfordert es weitere Disziplin, damit so umzugehen, dass es keine schlimmen Folgen hat. Wenn wir z. B. finden: „Der christliche Glaube ist gut, andere Glaubensarten sind schlecht“, dann kann das katastrophale Folgen haben - und hat es im Laufe der Geschichte oft genug gehabt.

Wie gesagt: Das Konfliktive ist unvermeidlich. Das gilt auch für den christlichen Glauben. Es kommt dann auf den sorgsamen Umgang mit den Konflikten an. Diese Sorgfalt müssen wir auch beim Lesen und Hören von biblischen Texten walten lassen. Wir dürfen uns nicht, jedenfalls nicht immer, einfach emotional in die Stimmung eines biblischen Textes hineinziehen lassen und dann auf der Linie dieser Stimmung weitermachen. Bezüglich unseres heutigen Textes, könnte das furchtbar enden - hat es im Laufe der Geschichte auch furchtbar geendet. 

Es geht in dem Text um die Einladung zum großen Festmahl. Etliche folgen der Einladung nicht. Darüber war der Einladende verärgert. Es werden schließlich irgendwelche Leute von der Straße eingeladen. Es heißt hier: „Der Herr sagte zu dem Diener: ,Dann geh auf die Landstraßen und vor die Stadt hinaus und nötige die Leute zu kommen; denn ich will, dass mein Haus voll wird‘.“ Diese Aufforderung „Nötige die Leute zu kommen!“ hat im Laufe der Kirchengeschichte Zwangsbekehrungen und Kreuzzüge gerechtfertigt. 

Es ist eigentlich nicht schön, von so etwas zu reden. Aber es ist doch wichtig, sich immer mal wieder klar zu machen, dass Schönes und Unschönes, Gutes und Ungutes oft sehr eng miteinander verquickt sind. Als Jesus auftrat, hatte er etwas Gutes vor. Was er sagte und tat, enthielt aber auch erhebliche Kritik an anderen und löste folglich bei anderen Widerstände aus. Wir sind in seiner Nachfolge zu doppelter Vorsicht aufgerufen: Wir müssen vorsichtig sein, seine Kritik einfach nachzusprechen. Und wir müssen vorsichtig sein im Umgang mit denen, die sich gegen die Kritik zur Wehr setzen.

In unserem Predigttext aus dem Lukasevangelium kritisiert Jesus die Pharisäer. Die Pharisäer waren eine Gruppe innerhalb des damaligen Judentums. Ihnen war es wichtig, die jüdischen Gebote auch im Alltag möglichst einwandfrei zu leben. Das versuchten sie nicht nur selbst, das erwarteten sie auch von anderen. Es ging dabei nicht nur um die bekannten zehn Gebote, sondern um eine Vielzahl von Geboten - z. B. auch um viele Gebote der kultischen Reinheit. 

Die Pharisäer haben sich mit diesem Anliegen zum einen in gewisser Hinsicht um den Fortbestand des Judentums verdient gemacht. Denn die Gebote, das jüdische Gesetz, die Tora, waren das Rückgrat des Judentums besonders in den Zeiten, als die Juden im Exil lebten und verstreut waren in alle Welt. In der Tora war die jüdische Identität formuliert.

Mit der strengen Anwendung der vielen jüdischen Gebote auf alle Bereiche des Alltags konnten die Pharisäer aber auch Unmut unter der Bevölkerung auslösen. Denn mangels Bildung und wirtschaftlicher Möglichkeiten waren viele Menschen gar nicht in der Lage, die Gebote alle einzuhalten. Das führte zu sozialer Ausgrenzung. 

Das wäre etwa so, wie wenn in unserer Gesellschaft alle Menschen nur noch ökomäßig essen und leben sollten. Das wäre zum einen sicherlich in vieler Hinsicht gut. Aber es wäre für viele einfach zu teuer und zu schwierig. Und wenn dann diejenigen, die dem guten und hohen Ansinnen nicht entsprechen könnten, sich als die schlechteren Menschen fühlen müssten, dann hätten wir ein gesellschaftliches Problem. 

Wer kommt in den Himmel? Oder wie führen wir ein Gott wohlgefälliges Leben? Oder, um mit dem Bild unseres Predigttextes zu reden: „Was müssen wir tun, damit wir schließlich dereinst im Himmelreich mit am Tisch Gottes sitzen dürfen?“ Das ist die Frage, die hinter unserem Predigttext steht.

Die Pharisäer hatten auf diese Frage ihre Antwort: „Gott wohlgefällig lebt, wer die Gebote Gottes im täglichen Leben möglichst tadellos erfüllt.“ Jesus hatte eine andere Antwort. Er hat sie einmal ganz prägnant im Doppelgebot der Liebe formuliert: „Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst; darin sind alle Gebote enthalten.“ 

Es gab und gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, was ein Gott wohlgefälliges Leben ist. Wichtig ist, dass die Auseinandersetzung hierüber in gegenseitigem Respekt und mit Mitteln geführt wird, die Leib und Leben des Andersdenkenden und Andersglaubenden nicht gefährden. 

Als Jesus auftrat, löste er mit seinen Worten und seinem Handeln zum einen Zustimmung, zum anderen Widerstand aus. Die Pharisäer fühlten sich durch ihn zu Recht kritisiert und hatten kein Interesse daran, sich auf seinen Weg zu begeben, denn sie hatten eine andere Vorstellung vom rechten Weg ins Himmelreich. Sie sind in dem Gleichnis vom großen Festmahl diejenigen, die der Einladung nicht folgen. Sie kommen in diesem Gleichnis sehr schlecht weg. Denn am Ende heißt es hier: „Ich sage euch“, sagt der Einladende, „keinem der Männer,  die  eingeladen  waren,  wird mein Abendessen schmecken.“

Jesus hat, wie wir heute sagen würden, das religiöse Establishment seiner Zeit mit seiner Kritik provoziert. Er hat die unbedingte Bedeutung der Gebote relativiert. Die Gebote sollen zwar weiter gelten. „Kein Tüttelchen vom Gesetz soll vergehen“, sagte er einmal. Aber er stellte die Gebote in die zweite Reihe, indem er sagte: „Der Mensch ist nicht für das Gesetz da, sondern das Gesetz ist für den Menschen da.“ 

Die Pharisäer hätten sich die Kritik an ihrer Position gefallen lassen können. Haben sie aber überwiegend nicht. Paulus war einer der Pharisäer. Saulus hieß er zu der Zeit. Er verfolgte die Anhänger Jesu und sorgte dafür, dass sie ins Gefängnis kamen. Dann hatte Saulus aber sein Bekehrungserlebnis. Ihm sind dann doch noch - im wahrsten Sinne des Wortes - die Augen aufgegangen, so schreibt es die Apostelgeschichte. Er wandelte sich vom Saulus zum Paulus und begann, für den christlichen Glauben in anderen Ländern zu missionieren. Er war zuvor blind gewesen für die wunderbare Botschaft, die Jesus mit der ganzen Hingabe seiner Person vermittelt hatte. 

Wir müssen es Gott selbst überlassen, wen er einlädt und wie er mit denen umgeht, die seiner Einladung nicht folgen. Eine Einladung ist eine Einladung und keine Vorladung. Jesus Christus ist mit seiner göttlichen Botschaft zu uns gekommen, um uns ein Angebot zu machen. Wir können es annehmen und wir können es ausschlagen. Das ist allerdings nur bedingt eine Frage des Wollens. Es ist auch eine Frage unserer inneren Disposition und der Tradition, in der wir aufgewachsen sind. Wir könnten auch sagen: „Es ist eine Gnade, das Gute und Göttliche in Jesus Christus zu erkennen und zu glauben und ein Leben in seiner Nachfolge führen zu können.“ 

Es ist für uns persönlich und für unsere Gesellschaft und für unser weltweites Miteinander nicht egal, nach welchem geistigen und geistlichen Konzept wir uns verhalten und unser Leben gestalten. Da sollen und müssen wir auch miteinander ringen um das, was uns und allen guttut und am besten ist. 

Für dieses - in Anführungszeichen - „Ringen“ müssen wir uns aber Regeln auferlegen, die den Frieden miteinander wahren. Das ist zwar leichter gesagt als getan. Der dauerhafte Versuch ist aber unsere Aufgabe.

Denn, wie Paulus in seinem Brief an die Epheser sagte: „Jesus ist gekommen, dass er Frieden verkündige - den Nahen und den Fernen.“

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 21. Juni 2009)

wnein@posteo.de    © Wolfgang Nein 2013