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Gründonnerstag (9.4.20)


Liebe geht durch den Magen

8. April 2004

Gründonnerstag

Matthäus 26,26-28


„Liebe geht durch den Magen“, sagt der Volksmund. Auch die Liebe Gottes geht durch den Magen. Brot und Wein beim Abendmahl sind Zeichen der Liebe Gottes, Zeichen seiner vergebenden Liebe. Wir sind Sünder, und zwar weitestgehend ziemlich unverbesserliche Sünder. Dennoch sind wir geliebte Kinder Gottes, die täglich die Chance zur Umkehr, die Chance zur Besserung haben. Das ist die frohe Botschaft, das Evangelium.

„Liebe geht durch den Magen“: Wenn die junge Frau ihrem Liebsten ein schönes Mahl bereitet, dann ist dies eine Form, ihre Liebe auszudrücken. Dann wendet sie ihr Innerstes nach außen, legt ihr Innerstes in die Mahlzeit hinein. Und wenn er ihr schön bereitetes Mahl sieht und es isst, nimmt er ihre Liebe in der Gestalt des Mahles in sich auf.

Die beiden Verliebten könnten sich gegenseitig ihre Liebe natürlich auch ohne dieses Mahl bezeugen. Sie könnte zu ihm sagen: „Ich liebe dich.“ Er könnte ihr das Gleiche antworten. Aber nein. Es ist offenbar der Wunsch da, den Gefühlen nicht nur mit Worten, sondern auch in anderer Gestalt, in sichtbarer materialisierter Gestalt Ausdruck zu geben. 

Wir verstehen in unserer jüdisch-christlichen Tradition unser ganzes Dasein als materiellen Ausdruck der Liebe Gottes. Alles, was wir sehen, anfassen, hören, schmecken, riechen können - das alles ist der materielle Ausdruck von etwas Abstraktem. Die Bibel sagt: „Am Anfang war das Wort.“ Und dann setzte der Schöpfer das Wort in Materie um, in Himmel und Erde, in Gestirne, in Natur, in Pflanzen, Tiere und Menschen. Aber  auch schon das Wort ist der Ausdruck von etwas noch Abstrakterem, das wir vielleicht Idee oder Gedanke und Geist - oder mit den Philosophen „Essenz“ nennen könnten.

Wenn wir uns nun einmal vorstellen, diese Ideen oder Gedanken oder der Geist wären  niemals in materiellen Ausdruck verwandelt worden, dann gäbe es diese Welt gar nicht. Dann gäbe es diese Schöpfung nicht, dann gäbe es diese ganze anfassbare, anschaubare, hörbare, schmeckbare, riechbare Materie nicht. Das wäre doch schade! Verzeihen Sie, wenn ich das so platt sage.

Es ist doch ein wunderbarer Tatbestand, dass wir, ich nehme jetzt mal uns als Menschen, dass wir nicht nur als Idee im abstrakten Himmel schweben, sondern dass wir zu Fleisch und Blut geworden sind und hier sind und uns gegenseitig sehen und anfassen und hören, riechen, schmecken können - jedenfalls für eine kurze Zeit, die Zeit unserer materiellen Existenz hier auf der Erde.

„Am Anfang war das Wort“ - im Johannesevangelium geht es dann weiter: „Und das Wort wurde Fleisch.“ Das Wort nahm die Gestalt eines Menschen an in Jesus Christus. Gottes Liebe blieb nicht abstrakt. Sie wurde im Menschen Jesus Christus erfahrbar, in seinem Leben beobachtbar. Kranke konnten ihn anfassen, Wissbegierige konnten ihn hören, Neugierige konnten ihn sehen. Und das, was er leibhaftig gelebt hat, das können wir seitdem, seit er dann schließlich wieder gen Himmel gefahren war, weiterhin schmecken in Brot und Wein. Denn Brot und Wein sind der Ausdruck dessen, was er gelebt, geredet, verkündet hat und wofür er gelitten hat und auferstanden ist: Brot und Wein sind der Ausdruck der Liebe Gottes zum Menschen. 

Er hätte es auch beim Wort belassen können. Er hätte einfach sagen können: „Erzählt weiter, was ich gesagt habe und was ihr mit mir erlebt habt.“ Das hat er auch gesagt. Aber er hat hinzugefügt: „Nehmt Brot und esst. Das ist mein Leib. Nehmt Wein und trinkt. Das ist mein Blut. Und esst das Brot und trinkt den Wein als leibhaftigen Ausdruck der Liebe Gottes zu euch. Denn mein Tod am Kreuz geschieht um euretwillen - als Zeichen der Vergebung eurer Sünden.“   

Brot und Wein geben der vergebenden Liebe Gottes konkreten Ausdruck - wie die Taufe ja auch. Wir machen es in unserem täglichen Leben so ähnlich: Wenn wir einen Menschen so sehr lieben, dass wir den Wunsch haben, für immer in Liebe zusammenzubleiben, dann schließen wir den Bund fürs Leben in einem Ritual, in einem Traugottesdienst, legen ein Versprechen ab, geben einander Ringe an die Hand, lassen uns mit Handauflegung segnen.

Natürlich geht es auch ohne ein solches Ritual, ohne solche Konkretisierungen. Aber das Leben ist eben nicht nur etwas Abstraktes. Leben wird zum Leben durch Konkretion, durch Materialisierung, durch Fleischwerdung. Auch die Liebe ist nicht etwas bloß Abstraktes. Liebe wird Liebe durch Fleischwerdung, durch leibhaftige Zuwendung und Hingabe. 

Der Liebe Gottes in Jesus Christus  geben wir konkrete Gestalt in Brot und Wein. Das ist dann aber noch nicht das Ende der Konkretisierung. Sie setzt sich dann fort in unserem Leben, indem wir leibhaftig liebevoll miteinander umgehen, einander verzeihen, einander helfen, füreinander da sind in Geduld und Nachsicht, in Anerkennung, Respekt, Hilfsbereitschaft, Bereitschaft zur Versöhnung, zum Frieden ...

Die ganze Kirche, die Institution Kirche und die Kirchengebäude und die Gemeinschaft der Menschen, die sich um das Wort Gottes sammeln, die Gottesdienste - das alles sind Konkretionen der Liebe Gottes. Wie gesagt, es ginge auch ohne sie - es ginge auch ohne Kirchengebäude z. B. Aber es wäre nicht dasselbe. Die bloße Abstraktion ist noch nicht das, was für uns das Leben zum Leben macht, und was die Liebe zur Liebe macht.

Liebe geht durch den Magen. Auch die Liebe Gottes geht durch den Magen. Sie geht durch den Magen hindurch in unser Herz. Sie erfüllt unser Herz und stärkt es und macht uns stark für ein Leben im Sinne desjenigen, von dem wir die Kraft empfangen.

Lassen wir uns also leibhaftig stärken für ein Leben im Geiste Gottes und seines Sohnes Jesus Christus.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 8. April 2004)

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