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1. Sonntag in der Passionszeit (18.2.24)


Gott und der Satan

1. März 2009

Invokavit

(1. Sonntag in der Passionszeit)

Matthäus 4,1-11


Gott und der Satan - der Satan gehört zu Gott wie der Zweifel zum Glauben, wie der Schatten zum Licht, wie der Tod zum Leben. 

Ohne den Tod ist das Leben nicht zu haben. Ohne den Satan ist Gott nicht zu haben. Wir können nicht wirklich glauben, wenn wir nicht durch den Zweifel hindurchgegangen sind. 

Wer an Gott, den Allmächtigen glaubt, der muss durch die Frage hindurch: „Warum lässt Gott Not und Elend zu?“

Wer an Gott glaubt, der muss sich auch die Frage gefallen lassen: „Wo ist denn Gott?“ und die Aufforderung: „Beweise mir seine Existenz!“ 

Wer an Gott glaubt, der kann sich vor die Entscheidung gestellt sehen, sich entscheiden zu müssen zwischen der Loyalität zu ihm und der Loyalität zu seinen Widersachern.

Im alttestamentlichen Buch Hiob gehen Gott und der Satan quasi eine Wette ein: „Meinst du denn“, sagt der Satan zu Gott, „dass Hiob dir umsonst die Ehre gibt?! Er lebt doch nur deshalb nach deinem Willen rechtschaffen und fromm, weil du ihn und seine Familie und alles, was er hat, beschützt und du das Werk seiner Hände segnest und sich sein Besitz vermehrt hat!“

Gott fordert den Satan auf, Hiob auf die Probe zu stellen und ihn ins Unglück zu stürzen. Dann würde sich zeigen, ob Hiob an seinem Glauben festhalten oder ob er von Gott abfallen würde.

Hiob erleidet ein Unglück nach dem anderen und gerät in die tiefsten Zweifel. Er zweifelt an der Gerechtigkeit Gottes, geht mit Gott ins Gericht und verflucht den Tag seiner Geburt. Am Ende gelangt er zu der Einsicht, dass sich mit Gott nicht rechten lässt, dass Gott Gott ist und der Mensch Mensch ist und sich Gott nicht auf die Ebene des menschlichen „Gibst du mir dies, dann gebe ich dir jenes“ herabziehen lässt. Gott bleibt der Schöpfer, der Mensch bleibt das Geschöpf, Gott bleibt der Souveräne, der Mensch bleibt der Abhängige. Das zu akzeptieren und in einem guten, konstruktiven, dankbaren Sinne anzunehmen, ist die Herausforderung des Glaubens. 

Das Evangelium des Matthäus überliefert uns die Geschichte von der Versuchung Jesu. Drei Versuchungen werden genannt. Es ist interessant, welche Versuchungen nicht aufgeführt sind. Es geht z. B. nicht um die süße Versuchung, die uns zusätzliche Kalorien beschert. Es geht auch nicht um die Versuchung, die zur Untreue in der Ehe führt. Und es geht nicht um die Versuchung, die dazu führt, dass wir uns am Eigentum anderer vergreifen.

Es geht hier vielmehr um drei Versuchungen, die mit dem Verhältnis Mensch-Gott zu tun haben, also um Versuchungen sehr grundsätzlicher Art. Ihnen war nicht nur Jesus ausgesetzt. Ihnen war nicht nur Hiob ausgesetzt. Auch unser Gottesverhältnis ist von den in unserem Predigttext geschilderten Arten der Versuchung immer mal wieder bedroht. 

Ist Gott wirklich der große, allmächtige Gott? Ist nicht ein anderer größer und mächtiger als er? Und würde es nicht mehr Sinn machen und wäre es nicht lohnender, jenem anderen anzuhängen?

Wenn Gott allmächtig ist, dann, so lautet die kritische Einschätzung, dann müsste er doch auch den Hunger in der Welt beseitigen können und das ganze Elend in der Welt! 

Und: Wenn Gott allmächtig ist, warum lässt er überhaupt das Leiden zu? Warum lässt er Flugzeuge abstürzen und Menschen dabei zu Schaden und zu Tode kommen? Warum lässt er Finanzjongleure gewähren und lässt es zu, dass die ganze Wirtschaft in den Abgrund stürzt?

Das sind sehr grundlegende Zweifel an der Größe und Autorität Gottes. 

Die sich an diese Zweifel anschließende Versuchung ist die, dass wir uns von anderen ansprechen lassen, die sich uns als die wirklichen Autoritäten, als die realen Größen, als die Alleskönner und als Führer anbieten und unsere Loyalität haben wollen.

Wen erkennen wir über uns als oberste Autorität an? Das ist die Frage. Und mit ihr ist auch für uns eine Versuchung verbunden.

Im Kampf um die Herzen der Menschen hatte im Dritten Reich der Eine, der nationalsozialistische, über viele gesiegt. Er hatte es verstanden, sich selbst an die höchste Stelle zu setzen und die Autorität Gottes herabzusetzen - mit katastrophalen Folgen für die ganze Welt. 

Auch Vertreter der kommunistischen Ideologie haben die Größe Gottes verneint und haben es vermocht, mit ihrer Ideologie die Herzen vieler Menschen zu beherrschen - mit  ebenfalls teilweise katastrophalen Folgen. 

Wir erleben die zerstörerischen Folgen menschlichen Größenwahns aber auch im Systems der freien Marktwirtschaft. 

Zerstörerischen Größenwahn erleben wir auch dort, wo Menschen sich unter Berufung auf ihre Religion anheischen, über Leben und Tod zu entscheiden - heute besonders im muslimischen Bereich. In der Geschichte des Christentums finden wir dafür viele entsprechende Beispiele.

Wo sich der Mensch an die Stelle Gottes setzt, wird es im höchsten Maße problematisch, ja, lebensgefährlich für viele - ob der Mensch nun die Autorität Gottes herabsetzt oder zur Legitimierung seines eigenen Anspruchs die Verehrung Gottes vorgibt. 

Es ist eine verhältnismäßig leichte Übung, die Größe Gottes zu leugnen und seine Autorität zu untergraben. Schon dem jungen Heranwachsenden fällt der Widerspruch zwischen dem Reden vom allmächtigen und lieben Gott auf der einen Seite und den ungerechten, erbarmungswürdigen Lebensverhältnissen auf der anderen Seite auf. 

Und ihm fällt auch auf, dass sich über diesen Gott nicht verfügen lässt, nicht einmal mit dem allerintensiv-sten Gebet. Wozu also sich mit diesem Gott abgeben, wenn er für die eigenen Zwecke nicht einsetzbar ist? Sind dann nicht menschliche Macher die realistischere, nützlichere Alternative?

Es wäre zu schön, wenn wir dieses ganze Dasein in unsere Hand bekämen, wenn wir es nach unserem Willen gestalten könnten, wenn wir den göttlichen Macher quasi als unseren Angestellten für unsere Zwecke und Pläne und Wünsche einsetzen und mit ihm auch das Unmögliche möglich machen könnten. Da sich der göttliche Macher aber nicht nach unserem Willen richtet, sollten es doch wenigstens die menschliche Macher tun. 

Das eine wie das andere wäre wirklich zu schön. Aber so ist es nicht. Über den einen, den göttlichen,  lässt sich nicht verfügen. Und die anderen, die menschlichen, werden uns - banal formuliert - das Glück auch nicht bringen.

Was also tun? Wie hat sich Jesus verhalten? Jesus hat der Versuchung widerstanden. Er hat sich entschieden. Er hat sich für Gott und gegen den Satan entschieden. 

Jesus hatte Hunger. Das ist die erste Szene. Müsste ihm der allmächtige Gott nicht irgendwie aus dieser Not heraushelfen?

Und wenn er es nicht tut, wäre das nicht ein Grund, sich vom Glauben an den allmächtigen Gott zu verabschieden? 

Jesus lässt sich durch seine Not nicht dazu verführen, die Allmacht Gottes auf die Probe zu stellen und den Misserfolg zu provozieren und seinen Gottesglauben damit der Lächerlichkeit preiszugeben. 

Er stellt klar, dass die Größe Gottes für ihn durch die materielle Not nicht verringert wird, weil Gott für ihn mehr bedeutet als das Leibliche und das Materielle. Dieses Mehr behält seine Größe und Großartigkeit und Würde auch im Angesicht von leiblichem Hunger, von materieller Not, von all dem Bruchstückhaften dieses Seins. Er sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ 

Das göttliche Wort - in dieser Formulierung ist alles enthalten, was über unser Wissen und Verstehen hinausgeht, das Geheimnis dieses Seins, das Geheimnis Gottes, von dem wir glauben, dass er die Quelle der Liebe ist. 

Die Liebe ist ein reales Phänomen dieses Seins. Sie ist eine göttliche Gabe wie alles Sein. Sie ist etwas Wunderbares. Sie ist allerdings mit dem Leid verwoben. Wer liebt, der leidet. Und so ist es mit dem Leben überhaupt. Das Leben ist mit dem Leid verwoben. Wer lebt, der leidet. Wollen wir aber deshalb das Leben und seinen Geber geringschätzen? Wollen wir die Liebe und ihre göttliche Quelle geringschätzen, weil sie mit Leid verbunden ist? Nein, wir wollen das Leben und wir wollen die Liebe. Unser angemessenes Verhalten dazu sind Dankbarkeit und Demut - in dem Sinne, wie Hiob es an einer Stelle formuliert hat: „Wenn wir das Gute von Gott annehmen, sollten wir dann nicht auch das Schwere von ihm annehmen?“

Wir werden uns keinen Reim auf dieses Dasein machen können. Wir werden das Geheimnis nicht lüften können. Wir haben aber auch keine Alternative. 

Über die zweite Variante der Versuchung Jesu lässt sich Ähnliches sagen. Jesus soll Gott zu einem Wunder herausfordern. Wenn Gott allmächtig ist, dann soll Gott das beweisen, indem er auf Aufforderung des Menschen etwas geschehen lässt, was noch kein Mensch erlebt hat: dass er nämlich bei einem Sprung in die Tiefe vom hohen Turm  herab sicher landet. 

Jesus verweigert sich diesem Ansinnen zu Recht. Wäre er gesprungen, wäre er hart gelandet und sein Leben wäre beendet gewesen. Das hätte nach einem Versagen Gottes ausgesehen. Der tödliche Aufprall wäre aber mitnichten ein Beweis dafür gewesen, dass Gott nicht der Große und Allmächtige ist. 

Gott ist der Herr über Leben und Tod. Er ist die Quelle allen Lebens und all dessen, was es in diesem Dasein gibt. Und was gibt es hier nicht alles! Der Satan fordert Jesus dazu heraus, die Größe Gottes durch ein Wunder nachzuweisen. Aber hat denn der Satan - Verzeihen Sie! - noch nie z. B. eine Stubenfliege beobachtet, dieses kleine für uns so gewöhnliche Wesen, das aber recht betrachtet ein so komplexes Wunderwerk der Schöpfung ist?! Wir haben uns an die Stubenfliege gewöhnt und sie ist uns lästig. Darum sind wir nicht mehr so recht in der Lage, sie in ihrer Wunderhaftigkeit zu würdigen. Ja, wir haben uns an alle Dinge dieses Seins gewöhnt und haben uns das Staunen und Wundern  weitgehend abgewöhnt. 

Es wäre ein ganz großer Irrtum und vollkommen unangemessen, das Wunder nun in etwas zu suchen, was wir bisher noch nicht erlebt haben. Wir haben Grund genug zu staunen über das, was wir vor Augen haben. Wir brauchen nicht nach dem nächsten Wunder zu fragen. Das wäre eine Geringschätzung und Abwertung dessen, was schon da ist. 

Was der Satan eigentlich will, sagt er schließlich geradeheraus: „Bete mich an!“ Und er fügt hinzu: „Zur Belohnung will ich dir alle Reiche der Welt zu eigen geben.“ 

Auf diesen Handel lässt sich Jesus nicht ein. Er hat sich bereits entschieden. Es geht Jesus nicht um das Haben. Es geht ihm um das Sein nach dem Willen Gottes: in Demut und Dankbarkeit, im Dienst an den Menschen und zur Ehre Gottes.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 1. März 2009)

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