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Trinitatis (7.6.20)


Der dreifache Segen des einen Gottes

11. Juni 1995

Trinitatis

4. Mose 6,22-27


Heute haben wir den Sonntag Trinitatis, das Fest der Dreifaltigkeit. Wenn wir auf der Straße eine Umfrage machen würden, um einmal festzustellen, wie weit die Bedeutung dieses Festes bekannt ist, dann wäre das Ergebnis eindeutig. Schon die Bedeutung von Pfingsten ist vielen Menschen unbekannt. Konfirmanden erraten manchmal die Bedeutung von Pfingsten, wenn ich in der folgenden Reihenfolge frage: „Was feiern wir Weihnachten?“ – „Die Geburt Jesu.“ – „Was war Karfreitag?“ – „Seine Kreuzigung.“ – „Was war Ostern?“ – „Seine Auferstehung.“ – „Himmelfahrt?“ – „Da ist er gen Himmel gefahren.“ – „Und wenn er nun gar nicht mehr anwesend ist, was bleibt dann noch von ihm?“ Dann kommt doch der eine oder andere drauf und antwortet: „Sein Geist.“ Und dann lesen wir diese wundersame Geschichte von der Ausgießung des Heiligen Geistes aus der Apostelgeschichte des Lukas, die wir am Pfingstsonntag gehört haben. 

Mir scheint, dass auch Konfirmanden dies noch begreiflich zu machen ist, dass, selbst wenn ein Mensch nicht mehr lebt und nicht mehr leibhaftig anwesend ist, dies nicht bedeutet, dass von ihm gar nichts mehr da ist. Auch der Gestorbene wirkt weiter in den Menschen, die er mit geschaffen hat, mit denen er zusammengelebt hat, die er gern gehabt hat, und die ihn gern gehabt haben. Ja, und auch in den Menschen wirkt er weiter, mit denen er im Streit gelegen hat. 

Wenn wir uns einmal selbst betrachten, dann stellen wir fest, dass unser Reden und Denken und Handeln, unsere Gesten nicht unsere eigenen Erfindungen sind. Sie spiegeln das Reden und Denken und Handeln und die Gesten anderer Menschen wieder. Es ist manchmal im Kreise der Verwandtschaft eine unterhaltsame Beschäftigung - besonders in Bezug auf Kinder - festzustellen, wer was von wem hat, also die Ähnlichkeiten festzustellen mit den Eltern und Großeltern und anderen Verwandten hinsichtlich des Aussehens und der Eigenarten und Begabungen. 

Oder wenn wir Kunst studieren, dann müssen wir unterscheiden lernen, welche Stilmerkmale ganz originell sind und welche auf andere Künstler und Kunstrichtungen zurückgehen.

In uns allen, in unserer ganzen Kultur, wirkt die Vergangenheit weiter als eine gegenwärtige Kraft. Das ist etwas Bemerkenswertes. Ich finde es jedenfalls sehr bemerkenswert, dass ein Mann, der vor knapp zweitausend Jahren gelebt hat, heute noch mit großem Einfluss unter uns wirkt. Seine Worte waren nicht in den Wind gesprochen, sein Handeln blieb nicht ohne tiefen Eindruck, sein Tod war nicht der Beginn des Vergessens. Sondern er lebt weiter. Sein Geist ist unter uns weiter lebendig und nimmt in unserem ganzen Verhalten stets neu leibhaftig Gestalt an. Wir nennen diesen Geist Christi den Heiligen Geist. Sein Wirken feiern wir in besonderer Weise zu Pfingsten.

Und heute also Trinitatis: Da haben wir alle drei vor Augen: Gott, den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist - die Dreieinigkeit. Wir betrachten Gott unter drei Aspekten: Gott in seiner Eigenschaft als Vater und Schöpfer aller Dinge. Gott in seiner Mensch-gewordenen Gestalt Jesus Christus und Gott in seinem Wirken als Heiliger Geist. Es geht immer um ein und denselben Gott. 

Den Moslems, bei denen Jesus auch eine Rolle spielt, aber nur als Prophet - den Moslems fällt es schwer, diese Überlegungen nachzuvollziehen. Sie sagen uns Christen: „Ihr habt ja eigentlich keinen Monotheismus, also den Glauben an einen Gott. Ihr glaubt ja eigentlich an drei Götter.“ Das ist natürlich nicht so. Wir glauben nur an einen Gott. Aber es ist wohl durchaus auch für unser Denken als Christen etwas akrobatisch, Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist zu verstehen, die einerseits verschieden, andererseits aber gleichzeitig eins sind. 

Was in etwa gemeint ist, können wir vielleicht am einfachsten einsehen, wenn wir uns vor Augen führen, dass jeder Mensch in mehreren Rollen auftritt. So kann es sein, dass Herr X Vater ist, er ist aber zugleich auch Sohn seiner eigenen Eltern. Und da, wo er selbst nicht anwesend ist, kann er trotzdem geistig gegenwärtig sein. Das könnte z. B. daran zu erkennen sein, dass sich seine Kinder auch in seiner Abwesenheit an seinem Willen orientieren.

Trinitatis, Dreieinigkeit - dieses Thema ist heute also verbunden mit einem Predigttext, der zunächst mit Trinitatis gar nichts zu tun zu haben scheint, denn es ist ein Text aus dem Alten Testament, und da gab es ja Jesus Christus noch gar nicht. Es handelt sich um einen Abschnitt aus dem 4. Buch Mose, und dabei im wesentlichen um den Wortlaut des uns allen gut bekannten aaronitischen Segens:

"Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden."

Aaron war der Bruder von Mose. Aaron und seine Brüder wurden zu Priestern für das Volk Israel eingesetzt. In dieser Eigenschaft wurden sie auch dazu beauftragt, dem Volk Israel den Segen Gottes zu spenden, und zwar mit den Worten, wie wir sie eben gehört haben. 

Martin Luther hat bei seiner Neugestaltung der Liturgie des Hauptgottesdienstes den Segen in diesem Wortlaut an den Schluss des Gottesdienstes gesetzt. An diese Praxis halten wir uns noch heute. Martin Luther haben wir es wohl letztlich auch zu verdanken, dass über diesen aaronitischen Segen gerade zu Trinitatis zu predigen ist; denn Martin Luther hat den aaronitischen Segen trinitarisch ausgelegt. Das war gar keine schlechte Idee, und ich möchte mich auf meine Weise an seinen Gedankengang anlehnen.

Dreimal taucht in diesem Segen der Name Gottes auf: „Der Herr segne dich“, „Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir“ und „Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich“. Dreimal ist von demselben Herrn die Rede, von Gott. Aber dann werden doch drei verschiedene Aussagen gemacht: „Der Herr behüte dich“, „Der Herr sei dir gnädig“ und „Der Herr gebe dir Frieden“. Diese drei Aussagen lassen sich gut verbinden mit den drei Gestalten der Trinität.

„Der Herr behüte dich“: Hier ist von Gott, dem Vater die Rede. Der Vater behütet seine Kinder. Er hat sie geschaffen, er lenkt ihre Geschicke, er gibt ihnen Schutz. Dann der zweite Teil - „Der Herr sei dir gnädig“: Hier ist von Jesus Christus die Rede; denn in ihm begegnet uns die Gnade Gottes. Weil der Mensch abgrundtief in Schuld verstrickt ist und sich selbst daraus nicht befreien kann, Gott aber barmherzig ist, kommt er in Gestalt eines Menschen, in Jesus Christus zu uns, nimmt das ihm von Menschen zugefügte Leid willig auf sich und versichert ihnen dann: Ich liebe euch trotzdem. Das ist die Gnade Gottes, wie sie uns in dem Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi begegnet.

Und dann als drittes: „Der Herr gebe dir Frieden“. Hier ist der Heilige Geist angesprochen. Denn der ist die Kraft, die Glauben erst ermöglicht und damit in dem Menschen, in uns, die Bereitschaft erweckt, das Friedensangebot Gottes anzunehmen und zu erwidern. Und der Heilige Geist ist die Kraft, die Gemeinschaft auch unter uns Menschen stiftet, die uns befähigt, die Grenzen zu überschreiten, die uns trennen, Grenzen, die wir in unserer Schuld und in unseren Ängsten errichtet haben.

So hören wir in diesem Segen also Gott in dreifacher Weise zu uns sprechen. Es sind drei gute Wünsche, mit denen wir aus dem Gottesdienst entlassen werden. Im Lateinischen heißt „segnen“ "benedicere", wörtlich übersetzt: "gut sprechen", "Gutes sagen". Das Gute, das uns gewünscht wird für unser tägliches Leben, ist der Schutz Gottes, die Gnade Gottes und der Frieden mit ihm und den Menschen. 

Wir alle haben schon des öfteren den Segen Gottes empfangen, nicht nur zum Beschluss des Gottesdienstes, auch z. B. bei der Taufe, oder bei der Konfirmation, bei der Trauung, bei der Übernahme eines Amtes vielleicht. Beim Beginn wichtiger Lebensabschnitte bitten wir um den Segen Gottes, und ich muss sagen: Das ist eine dem Menschen wahrhaft angemessene Haltung; denn sie bringt Bescheidenheit zum Ausdruck, Einsicht in die Grenzen des eigenen Vermögens. 

Wenn wir z. B. nach der Geburt unseres Kindes nur eine Verpflichtungserklärung abgeben würden mit dem Inhalt, das Kind zu schützen, zu nähren, zu erziehen und zu lieben, und wenn wir z. B. bei der Eheschließung es dabei belassen würden, einander das Versprechen zu geben, ein Leben lang füreinander da zu sein, dann würde doch etwas ganz Wichtiges fehlen: das Bekenntnis nämlich, dass das Gelingen unseres Tuns nicht allein von unserem guten Willen abhängt, mag unsere Selbstverpflichtung noch so ernst gemeint sein. Unser Schicksal liegt letztlich nicht in unserer Hand. Was wir selbst tun können, ist ein vergleichsweise Geringes. Das betrifft die Fürsorge für ein Kind und das eheliche Leben genauso wie die Übernahme eines Amtes oder überhaupt unser ganzes tägliches Leben. 

Darum ist es sinnvoll und unserer Art angemessen, uns stets unter den Segen Gottes zu stellen und ihn immer neu zu erbitten für alles, was wir tun.

Der Segen Gottes übt seine Wirkung nicht magisch, nicht automatisch aus. Er hat die Kraft des guten Wortes, das, wenn es auf fruchtbaren Boden fällt, Wurzeln schlägt und Früchte bringt. Der Segen sendet uns mit guten Worten und einer diese begleitenden liebevollen Geste aus. Mögen der uns gewünschte Schutz, die Gnade und der Frieden in uns Aufnahme und freudige Antwort finden und so uns tatsächlich zum Segen werden.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 11. Juni 1995)

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