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14.-20.4.2024


Führen und geführt werden

Johannes 10,11.27-28


Christus, der gute Hirte, einer, dem man sich anvertrauen kann, der einem vorangeht, dem man hinterhergehen kann, ohne selbst um den rechten Weg besorgt zu sein. Vielleicht hat jeder von uns zumindest zu gewissen Zeiten oder in bestimmten Phasen des Lebens das Bedürfnis, sich einfach vertrauensvoll jemandem anzuschließen, geführt zu werden, sich Entscheidungen abnehmen zu lassen.

Wir kennen auch das andere Bedürfnis in uns: selbst bestimmen zu wollen, wo es lang geht. Oftmals haben wir ja auch die Pflicht, den Weg zu weisen.

Als Erzieher müssen wir andere führen, sei es im familiären Bereich oder im beruflichen. Die Kinder müssen wir führen, das ist unsere Verantwortung. Da müssen wir die Ziele setzen und die Richtung angeben. Aber nicht nur gegenüber den Kindern sind wir zur Führung beauftragt, sondern auch gegenüber unterschiedlichen Gruppen von Erwachsenen in den verschiedenen Gremien etwa, in denen wir an Entscheidungsprozessen mitwirken.

Von der demokratischen Verantwortung schließlich ist jeder betroffen. Jeder ist aufgerufen, den Weg, den wir als menschliche Gemeinschaft gehen wollen, mitzubestimmen, eine Aufgabe, die wir manchmal als reizvoll, manchmal als lästig empfinden mögen.

Wenn wir nicht immer und überall selbst entscheiden müssen, sondern uns auch den Entscheidungen eines anderen anvertrauen können, nicht aus Trägheit, sondern aus begründetem Vertrauen, ist das etwas Wunderbares. Solches Vertrauen ist ein zweiseitiger Vorgang. Er besteht in einer Einschätzung der anderen Person und im Loslassen von sich selbst. Wenn wir vertrauen, setzen wir uns dem anderen aus. Das ist durchaus ein Wagnis, ein Akt des Glaubens. 

Wir wissen uns in die Nachfolge dessen gerufen, den das Neue Testament den „Guten Hirten“ nennt und der sich als solchen selbst bezeichnet hat. Wir können ihm nicht in jeder Hinsicht folgen, das hat er selbst seinen Jüngern gegenüber gesagt. Er ist ja den Weg des Leidens bis hin zum Tod am Kreuz gegangen. Aber er hat uns doch die Richtung gewiesen.  Es ist der Weg der mitmenschlichen Solidarität, der Rücksichtnahme auf den Schwachen. Es ist der Weg der Geduld, der Nachsicht, der Vergebung. All dies wird uns durch den „Guten Hirten“ zuteil. Damit ist zugleich angegeben, in welcher Weise wir unsere Aufgabe als Hirten wahrnehmen sollen.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 27.4.1993)

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