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28.1.-3.2.2024


Mutmacher

Jesaja 60,2


Wir sollen diesen Satz im Zusammenhang von Epiphanias interpretieren. Der unvorbelastete Hörer wird dieses Wort auch so verstehen: Es geht um die Herrlichkeit Gottes, wie sie in Jesus Christus erschienen ist. Diese Herrlichkeit Gottes geht auf über den Menschen wie täglich die Sonne. Sie bescheint uns alle mit ihrem erhellenden und erwärmenden Licht.

Dieser Satz steht aber bei dem alttestamentlichen Propheten Jesaja, dem dritten Jesaja, wie er von der Wissenschaft genannt wird, und bezieht sich auf eine ziemlich genau benennbare geschichtliche Situation: den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem nach dem Exil in Babylon. 

Nachdem der Tempel in Jerusalem zerstört, die Oberschicht des israelitischen Volkes nach Babylon deportiert und von der religionstoleranten persischen Regierung die Rückkehr der Exilierten in ihre Heimat Israel ermöglicht worden war, erschien die Zukunft wieder in einem helleren Licht. Zwar war noch nicht wieder alles eitel Sonnenschein. Es fehlte zum Beispiel schlicht das Geld für den Wiederaufbau des Tempels. Aber es kam doch Hoffnung auf, dass gute alte Zeiten wieder einkehren könnten in Israel und Jerusalem und der düstere Schleier der Vergangenheit nun von Volk und Land abgezogen würde: „Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker, aber über dir geht auf der Herr und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“

Den noch Verzagten macht der dritte Jesaja Mut, die Chancen der Zukunft nun auch als eine Aufgabe zu ergreifen und sich hoffnungsfroh auf neuen Glanz und neue Herrlichkeit auf dem Berg Zion, und d. h. in Jerusalem, einzulassen. 

Dieser Prophet war ein Mutmacher. Solche Menschen sind von Nöten, die uns über unser „Wenn und Aber“ hinaus eine Vision vor Augen stellen, deren wunderbarer Inhalt uns mitreißen und uns die Kraft zu einem neuen Leben geben soll. Der Prophet hat gewiss nicht leichtfertig Optimismus verbreitet, sondern seine Zusage einer glanzvollen Zukunft mit der Aufforderung verbunden, die eigene Vergangenheit kritisch und hoffnungsfroh zu bedenken.

Der Glanz Jerusalems ist, wenn wir die äußere Geschichte der Stadt betrachten, ein zweifelhafter geblieben. Aber in einem neuen Sinne ist der Ort doch zu einem Sinnbild für die Herrlichkeit Gottes geworden. Wenn Christen heute nach Jerusalem pilgern, dann unter anderem auch deshalb, weil sie diesen Ort mit der Erscheinung Gottes in Jesus Christus verbinden.

Nicht ein aus Steinen neu aufgebauter Tempel zeugt dort von Gottes Glanz. Dieser Ort erinnert uns vielmehr an ein Geschehen, an das Auftreten eines göttlichen Menschen, der zum Grund- und Eckstein eines neuen lebendigen, alle örtlichen Grenzen überschreitenden Tempels geworden ist, den Leib Christi, die Kirche, wie wir sagen. In diesem Sinne können wir mit Dankbarkeit die Heilszusagen des dritten Jesaja umformulieren. Was er als zukünftiges Geschehen verkündet hat, liegt für uns nun nicht mehr nur vor uns, sondern ist vergangenes und gegenwärtig für uns alle weiterwirkendes Geschehen: „Über dir, Jerusalem, ist aufgegangen der Herr, und seine Herrlichkeit ist über dir erschienen.“

(Morgenandacht von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 21.1.1986)

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