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14. Sonntag nach Trinitatis (10.9.23)


Der Heilung eine Chance geben

13. September 2009 

14. Sonntag nach Trinitatis

Lukas 17,11-19


„Dein Glaube hat dir geholfen“, sagte Jesus zu dem einen Aussätzigen, der zu Jesus zurückgekehrt war, um sich bei ihm für die Heilung zu bedanken. 

„Dein Glaube hat dir geholfen“ - der Glaube kann wirklich die Möglichkeit dafür schaffen, dass wir gesund werden. Das kann ganz einfach gehen. Da ist eventuell gar keine große Akrobatik im Glauben erforderlich. 

Es kann ausreichen, daran zu glauben, dass mich ein bestimmter Arzt gesund machen kann, und dann hinzugehen und mich von diesem Arzt behandeln zu lassen. Wenn ich ihm die Heilung nicht zutraue und deswegen nicht hingehe und ihn nicht in Anspruch nehme, versage ich mir von vornherein selbst die Möglichkeit, gesund zu werden.

Ebenso kann es ausreichen, daran zu glauben, dass ich durch eine bestimmte Maßnahme gesund werden kann, z. B. durch eine Vorsorgeuntersuchung. Wenn ich der Vorsorgeuntersuchung zutraue, dass sie bei mir frühzeitig einen Krankheitsherd entdecken kann und sie mich durch rechtzeitige Maßnahmen vor einer Fortentwicklung der Krankheit schützen kann, dann war letztlich dieser Glaube die erste Voraussetzung für die Heilung. 

Kurz gesagt: Wenn ich die bestehenden Möglichkeiten der Heilung gar nicht in Anspruch nehme, weil ich sie nicht ernst nehme, ihnen nichts zutraue, dann habe ich die Chance der Heilung verpasst.

Die zehn Aussätzigen unseres heutigen Predigttextes aus dem Lukasevangelium haben auch keine Akrobatik im Glauben betrieben. Damit meine ich: Sie haben nicht an irgend welche schwierigen dogmatischen Inhalte geglaubt. Sie haben einfach von Jesus gehört, dass er heilen kann, und haben ihm das zugetraut und haben sich an ihn gewandt und haben sich auf das eingelassen, was er ihnen zur Heilung geraten hat. Und so konnten sie gesund werden. 

Wie die Heilung im einzelnen vonstatten gegangen sein mag, können wir dahingestellt sein lassen. Wichtig ist, dass die zehn Aussätzigen überhaupt an eine Heilung geglaubt und folglich das ihnen Mögliche getan haben, um der Heilung eine Chance zu geben. 

„Sich selbst nicht aufgeben“ - das ist eine Voraussetzung dafür, dass uns geholfen werden kann. Manchmal müssen wir auch einfach an Wunder glauben, daran, dass etwas geschehen kann, was wir uns selbst im Augenblick nicht so recht vorstellen können, was aber vielleicht doch geschehen kann, ohne dass es von unseren eigenen Möglichkeiten abhängt. Wir müssen dem Glück einfach eine Chance geben. Wir müssen dem Unglaublichen eine Chance geben. Das Leben ist doch so voller Wunder, voll von Unglaublichem, voll von Vorgängen, die sich jenseits unseres kleinen Verstandes ereignen. 

Es ist zwar gut und wichtig, den Verstand zu benutzen und dem Verstand auch eine gehörige Bedeutung zuzumessen. Aber wir dürfen ihn auch nicht überschätzen. Denn das Leben besteht hauptsächlich aus dem, was wir nicht verstehen. Und das gilt nicht nur für das Medizinische. Das gilt für alle Bereiche des Lebens. 

Die Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert war insofern zum einen zwar ein Segen. Aber sie hat zum anderen die Weltsicht vielleicht doch ein wenig zu sehr verengt auf das menschlich Verstehbare.

Die Aussätzigen vor zweitausend Jahren hatten noch nicht das Problem, infolge überzogener intellektueller Aufklärung nicht mehr an Wunder zu glauben. Aber sie haben vielleicht in anderer Weise ein Problem gehabt: nämlich infolge ihres Schicksals nicht mehr daran glauben zu können, dass ihnen noch geholfen werden könnte. 

Als Aussätzige waren sie im wahrsten Sinne des Wortes ausgesetzt worden an Orte außerhalb der menschlichen Gesellschaft. Ihre Unansehnlichkeit, ihre Unreinheit und die Ansteckungsgefahr und der unheimliche Charakter der Krankheit hatten dazu geführt, dass ihre Mitmenschen keinen Kontakt zu ihnen haben wollten. Sie lebten isoliert, ausgegrenzt. Wo sie auftauchten, mussten sie sich laut bemerkbar machen und die anderen warnen. Die anderen gingen ihnen dann aus dem Wege. Das war für die Aussätzigen bitter. 

Es gab für sie keine wirklichen Heilungschancen. Es gab Regelungen im Umgang mit ihnen: Sie konnten zum Priester gehen, die quasi-Ärzte jener Zeit, aber dass sie durch sie gesund werden könnten, damit konnten sie nach aller Erfahrung kaum rechnen. Die Aussätzigen hatten Grund zur Resignation. Sie hatten kaum Grund zur Hoffnung. Sie müssten sich wohl mit ihrem Schicksal abfinden, so werden die meisten Aussätzigen ihre Lage empfunden haben. 

Die zehn Aussätzigen unseres Textes haben sich offensichtlich noch nicht abgefunden. Sie haben sich noch nicht aufgegeben. In ihnen stecken noch Fünkchen der Hoffnung. Sie haben noch den Glauben in sich, dass ihnen geholfen werden könnte. Und eben dieser Glaube ist die erste Voraussetzung dafür, dass eine Heilung überhaupt eine Chance hat. Sie verbinden ihre Hoffnung mit dieser einen bestimmten Person, von der sie wohl schon einiges gehört hatten, Jesus. 

Mit ihm, Jesus, verbinden sie die Hoffnung auf Heilung - vielleicht wegen seines Rufes, wegen der Erzählungen über ihn von Wunderheilungen und darüber, dass er sich überhaupt kümmert, dass er Kranke nicht aufgibt und Aussätzige nicht abschreibt als hoffnungslose Fälle. 

„Herr, erbarme dich unser“, rufen sie ihm zu. Und er sagt ihnen dann das, was für Aussätzige damals vorgesehen war: „Zeigt euch den Priestern.“ Sie lassen sich auf seinen Rat ein. Sie tun das, was sie vielleicht früher schon mal erfolglos getan hatten, was sie dann aber schließlich gelassen hatten, weil es eh nichts gebracht hatte: Sie gehen nun doch, vielleicht also noch einmal, zum Priester, weil er, Jesus, es ihnen gesagt hat. Wenn er es sagt, dann hilft es diesmal vielleicht doch, werden sie vielleicht gedacht haben. Sie wollen es probieren. Schon auf dem Weg dorthin werden sie gesund.

Wir können es auch hier dahingestellt sein lassen, wie die Heilung im einzelnen vonstattengegangen ist. Es wäre auch abwegig und irreführend,  die Wunderkraft Jesu  überzubetonen oder hier gar von Zauberei zu sprechen. 

Jesus sagt zu dem, der nach seiner Heilung noch einmal zurückkehrt: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Ja, dass er, der Aussätzige, trotz seines schlimmen Schicksals noch daran geglaubt hat, dass er geheilt werden könnte, das war die Voraussetzung für seine Heilung. 

Der resignative Satz: „Das bringt eh nichts!“ ist ein unguter Satz. Unsere Geschichte heute will uns sagen: „Glaubt an das Unglaubliche, rechnet mit dem Unkalkulierbaren. Lasst euch nicht einschüchtern und nicht beschränken auf das, was euer beschränkter Verstand für möglich hält. Gottes Möglichkeiten sind größer als unser kleiner Verstand.“ Das ist kein frommes Gerede, sondern das ist die Realität. Das Menschenmögliche ist ein verschwindend geringer Teil der Wirklichkeit. Und das vom Menschen Verstehbare ist angesichts der Größe des Wunders dieser Schöpfung eine wie die Franzosen sagen, „Quantité négligeable“, eine zu vernachlässigende Größe. 

Die Wirklichkeit ist weit mehr, als wir in Begriffe und Formeln zu fassen vermögen. Sie hält auch mehr Wunder für jeden einzelnen von uns bereit, als wir überhaupt zu denken und zu fühlen vermögen. 

Wir sollen gewiss nicht unseren Verstand über Bord werfen. Wir sollen auch nicht unsere Gefühle ignorieren. Aber wir sollen unserem Verstand kein exklusives Recht einräumen, und von den Gefühlen sollen wir uns nicht überwältigen lassen. Was rät uns der Bibeltext? Er macht uns Mut, besonnen und vernünftig und hoffnungsfroh zu glauben. 

Einer von den zehn Geheilten kehrt zurück. Er offenbart damit über die Hoffnung auf Heilung hinaus noch eine weitere löbliche Haltung: Er bedankt sich bei demjenigen, der die Heilung in Gang gesetzt hat, der das Unmögliche möglich gemacht und der Hoffnung ihre Berechtigung gegeben hat. Dieser eine Aussätzige freut sich nicht nur, endlich doch gesund zu sein. Er gibt zusätzlich ausdrücklich demjenigen die Ehre, dem das Glück der Heilung zu verdanken ist. 

Dieser eine wollte nach seiner Heilung offenbar nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen, als wäre das Wunder der Heilung eine Selbstverständlichkeit. Es ist wohl unser aller Problem: dass wir geneigt sind, die zahllosen täglichen Wunder als Alltäglichkeiten gar nicht mehr wahrzunehmen und sie nicht mehr zu würdigen. Wir haben uns an die täglichen Wunder gewöhnt. Das Danken ist eine gute und wichtige und heilsame Übung gegen diese Gewöhnung. „Vergiss nicht, was der Herr dir Gutes getan hat“, mahnt uns darum der Spruch dieser Woche aus dem 103. Psalm.

Was also sagt uns unser Predigttext? Er sagt uns: Der Glaube ist eine große, heilsame Kraft, der Glaube an die Kraft, die von jenem Jesus von Nazareth ausgeht, von seiner Liebe zu den Menschen, und seiner Barmherzigkeit, die ihre Quelle in der Liebe Gottes zu uns allen hat. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 13. September 2009)

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