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21. Sonntag nach Trinitatis (29.10.23)


Kein Frieden ohne Unfrieden

16. Oktober 2005

21. Sonntag nach Trinitatis  

Matthäus 10,34-39


Kürzlich hatte sich jemand für eine kleine Andacht diesen Bibeltext aus dem Matthäusevangelium ausgewählt.

Das ist doch ein harter, schwer verdaulicher Text. „Warum hast du dir den bloß ausgewählt“, dachte ich damals mit Blick auf die Person, die den Text vorgetragen hatte. „Du hättest doch auch einen anderen Text nehmen können.“

Und heute ist genau jener Abschnitt aus dem Matthäusevangelium der Predigttext für diesen 21. Sonntag nach Trinitatis. Nun müssen wir uns mit diesem Text auseinandersetzen.

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“, sagt Jesus. Das tut unseren Ohren weh - und unseren Herzen. Das kann doch irgendwie nicht wahr sein, dass Jesus das gesagt haben soll! Wir sind doch ganz andere Sätze von ihm gewohnt, die genau das Gegenteil aussagen - und dafür lieben wir ihn ja und hören wir auf ihn und versuchen ihm nachzufolgen, Sätze wie: „Selig sind die Friedfertigen“ und „liebt eure Feinde“. Schon die Ankündigung seiner Geburt stand doch unter der Überschrift „Friede auf Erden allen Menschen“.

Leider war die kleine Andacht von damals, in der unser heutiger Text vorkam, nicht mit einer Auslegung verbunden. Ich habe jetzt aber mal nachgefragt: „Warum hattest du dir den Text für deine Andacht eigentlich ausgewählt – freiwillig; du hättest dich doch auch für einen anderen Text entscheiden können?!“ – „Ich brauchte das für mich“, war die Antwort, „der Text hat mir gut getan.“ Ich war zunächst etwas verblüfft.

Aber dann ist mir doch eines klar geworden: Unser Text hat nicht nur etwas Hartes. Er hat auch etwas Tröstliches. Tröstlich kann nämlich die Aussage sein, dass die Botschaft des Friedens nicht unbedingt den Frieden zur Folge haben muss, dass der Friedensbringer im Gegenteil vielleicht sogar Unfrieden bewirken kann und dass selbst ein Friedensbringer wie Jesus Christus die Ursache für Unfrieden sein kann.

Wenn wir den Zusammenhang von Frieden und Unfrieden einmal in Ruhe bedenken, werden wir vielleicht diese zugleich bittere wie tröstliche Wahrheit bestätigt finden: dass wohl keiner den Frieden bringen kann, ohne zugleich Unfrieden auszulösen. Denn eine Friedensbotschaft ist immer auch eine Herausforderung sich zu ändern. Die Friedensbotschaft kann von einigen oder sogar von vielen stets auch als eine Provokation empfunden werden und Abwehr und Widerstand auslösen. Jede Aufforderung zur Änderung der Einstellungen und des Verhaltens bringt Unruhe. Einen allgemeinen, allseitigen Frieden kann es wohl erst geben - verzeihen Sie -, wenn wir alle unter der Erde liegen. Auf dem Friedhof, da gibt es unter den Toten einen allgemeinen Frieden. Und der Himmel, so glauben wir, ist ein Reich des vollkommenen Friedens.

Ruhe und Frieden kann es unter den Lebenden nur sehr punktuell geben. Denn was der eine als Friedensbotschaft anbietet, wird von dem anderen als solche nicht so ohne Weiteres angenommen. Denn jeder Mensch hat seinen eigenen Kopf und sein eigenes Herz. Jeder Mensch macht sich seine eigenen Gedanken, hat seine eigene Meinung, seine eigenen Einstellungen. Jeder Mensch neigt in der Regel zu der Überzeugung, selbst das Richtige zu tun, das zu tun, was gut und nützlich ist und was dem Frieden dient. Und allseitiger Friede, allseitiges Einvernehmen, ist von daher kaum eine reale Möglichkeit und wird wohl nicht zu Unrecht im Volksmund als - verzeihen Sie nochmals – „Friede, Freude, Eierkuchen“ ironisiert.

Es können zwei Menschen ernsthaft und aufrichtig nach bestem Wissen und Gewissen den Frieden wollen und im Konkreten doch genau die gegensätzlichen Maßnahmen ergreifen, um den Frieden zu schaffen und zu erhalten. So kann es dazu kommen, dass sich die beiden um des Friedens willen in die Haare kriegen und am Ende der Unfrieden vielleicht noch heftiger ist als zuvor. Dafür lassen sich Beispiele im Kleinen wie im Großen finden.

Im Kleinen finden wir Beispiele zuhauf in der Familie, in der Kindererziehung z. B. Wenn Eltern da um - in Anführungszeichen – „um des lieben Friedens willen“ alles durchgehen lassen würden, wären das Chaos und der Unfrieden noch größer. Aber auch wenn sie eine gutgemeinte Maßnahme ergreifen, um ein gedeihliches Miteinander zu erwirken, stoßen sie vielleicht auf Widerspruch und Widerstand und lösen mit ihrer Friedensabsicht den nächsten Unmut aus.

So unruhig geht es nicht nur in der Kindererziehung zu, sondern überhaupt in unserem ganzen zwischenmenschlichen Miteinander, auch am Arbeitsplatz, auch in der Gemeinde und wo auch immer. Das ist frustrierend. Von daher kann unser Predigttext eben auch ganz tröstlich sein: Denn da hören wir, dass auch der Friedensbringer Jesus bereits im Vorwege angekündigt hat, dass sein Friedensangebot auch Unfrieden auslösen würde.

Um noch zwei historische Beispiele aus dem politischen Bereich zu nennen, eines aus dem Dritten Reich. Vielleicht ist Ihnen der Name des damaligen britischen Premierministers Chamberlain ein Begriff. Er hatte den Frieden zu erhalten versucht, nachdem Adolf Hitler 1938 das Sudentenland und den Rest von Tschechien annektiert hatte. Chamberlain hatte den Frieden - ich benutze noch einmal die Formulierung – „um des lieben Friedens willen“ durch eine Beschwichtigungspolitik, also auf die weiche Tour, zu erhalten versucht. Diese sog. Appeasementpolitik, die Beschwichtigungspolitik, ist ihm später vorgehalten worden. Man hat gesagt, dass Chamberlain durch dieses weiche Vorgehen den Diktator Hitler möglicherweise eher zu weiteren Untaten ermutigt hätte. Chamberlain hätte also mit seiner Art der Friedfertigkeit dem Bösen freien Lauf gelassen und dem anschließenden Übermaß an Unfrieden - und Krieg - Vorschub geleistet.

Und das zweite Beispiel: Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Natodoppelbeschluss von 1979. Es ging damals um die Abwehr der atomaren Bedrohung aus dem Osten. Wie könnte der Frieden gesichert werden? Die Antwort der Nato war die atomare Abschreckung durch Aufstellen von Atomraketen - auch in Deutschland. So sollte der Frieden gesichert werden. In Deutschland löste der Natodoppelbeschluss aber eine Welle des Unfriedens aus - auch in den Kirchen und Gemeinden.

Auch hier in St. Markus befassten wir uns z. B. während des Hamburger Kirchentages 1981 mit dieser Problematik. Ich selbst habe damals zu diesem Thema über den Text der heutigen Epistellesung aus dem Epheserbrief gepredigt. Auf diesen Text werde ich gleich noch zurückkommen. Die friedenspolitischen Maßnahmen unter der damaligen Regierung Helmut Schmidt und die Friedensbemühungen der Andersdenkenden führten zu vielen und teilweise heftigen Demonstrationen, zu einem Unfrieden im ganzen Land.

Wer den Frieden bringen will, sät auch Unfrieden. Das lehrt uns die Erfahrung. Auch die christliche Friedensbotschaft hat, wenn wir z. B. auf die zweitausendjährige Kirchengeschichte zurückblicken, sehr viel Unfrieden ausgelöst.

Wir könnten vielleicht sagen: Das liegt an der Unfähigkeit des Menschen, sich auf den Frieden wirklich einzulassen. Das mag zu einem Teil richtig sein. Zu einem anderen Teil ist der Unfrieden aber auch die - auch bei allerbestem Willen - unvermeidliche Kehrseite des Friedens. So wie es keinen Sonnenschein ohne Schatten gibt, es sei denn, alles ist im wahrsten Sinne des Wortes plattgemacht, sodass da nichts mehr ist, was Schatten werfen könnte, so ist der Unfrieden die Kehrseite des Friedens, es sei denn alle liegen tot darnieder und keiner kann mehr Widerspruch leisten.

Wenn wir die christliche Friedensbotschaft im Zusammenhang mit der Mission betrachten, wenn wir z. B. an die Missionierung von Eingeborenen im Amazonasgebiet oder in Papua Neu Guinea oder irgendwo im afrikanischen Busch denken, dann bedeutet die Einführung der christlichen Botschaft immer auch Veränderung bis zur Zerstörung der einheimischen Kultur. Das mag uns in kleinen Teilen gut und richtig erscheinen. Aber ohne Auseinandersetzungen heftigster Art, ohne Unfrieden wird so etwas kaum abgehen.

Aber wir brauchen gar nicht so weit weg zu gehen. Wenn wir uns allein in unserem Land vorstellen, ein christlicher Mann möchte ein muslimisches Mädchen heiraten, und beide sind vielleicht eingebunden in ihre religiösen Traditionen, dann können wir uns vielleicht ausmalen, welcher Unfrieden in den Familien beiderseits entstehen kann. Aber auch konfessionsverschiedene Ehen können schon zu heftigem Unfrieden führen.

Mit dem Frieden ist es nicht so einfach. Wenn wir nun noch einmal einfach auf das Kreuz schauen, wie es z. B. hier vorn an der Wand hängt: Der Friedensbringer Jesus selbst hat mit seiner Botschaft und seiner Art so viel und so heftigen Unfrieden ausgelöst, dass er selbst dabei am Kreuz zu Tode gekommen ist - und nach ihm auch viele seiner Anhänger.

Wenn wir das alles bedenken, dann wird uns der Satz trotzdem nicht gefallen, den wir aus unserem Predigttext hören, wo Jesus sagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Die Formulierung der Aussage ist einfach unglücklich. Denn Jesus ist doch gekommen, um Frieden zu bringen. Aber der Frieden ist, so paradox das klingen mag, ohne Unfrieden nicht zu haben.

Wenn hier nun vom Schwert die Rede ist, dann kann das im Sinne Jesu allerdings nur im übertragenen Sinne gemeint sein, nämlich so, wie wir das vorhin aus der Epistellesung im Epheserbrief gehört haben, wo von der Waffenrüstung Gottes die Rede ist, vom Schwert des Geistes, vom Panzer der Gerechtigkeit, vom Schild des Glaubens.

Im Sinne dieses Textes können wir den Unfrieden, den Jesus mit seiner Friedensbotschaft - unausweichlich - gebracht hat, als eine Art produktiver, konstruktiver Auseinandersetzung mit seiner Botschaft verstehen. Wir können nicht erwarten, dass jeder die christliche Friedensbotschaft einfach so annimmt. Auch wir selbst können sie nicht einfach so annehmen. Aber in der Auseinandersetzung mit der Botschaft Jesu ist es wichtig, dass wir uns in der Art der Mittel begrenzen, dass unsere Waffen immer Waffen geistiger Art bleiben, dass wir uns also mit Worten streiten und auch in unseren Worten Maß halten, dass wir immer wohlwollend bleiben und dem anderen sein Recht gewähren.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 16. Oktober 2005) 

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