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Erntedankfest (1.10.23)


Wer viel hat, hat auch eine Verantwortung

2. Oktober 1994

Erntedankfest

Begrüßung der neuen Konfirmanden

Lukas 12,16-21


Begrüßung: Diesen Apfel habe ich bei uns zuhause im Garten gefunden. Ich habe diesen Apfel nicht gemacht. Ich habe auch den Baum nicht gemacht, von dem er herabgefallen ist. Ich habe auch den Baum nicht gepflanzt, auch nicht gesät. Und dennoch ist dieser Apfel da. Und noch viele Äpfel mehr liegen bei uns im Garten. Und noch mehr hängen am Baum. 

„Es ist die Natur“, sagen die einen. „Mit menschlicher Arbeit hat das zu tun“, ergänzen die anderen. Heute fügen wir noch einen Gedanken hinzu: Wenn auch Menschen arbeiten, damit wir zu essen haben, und wenn auch die Natur die Pflanzen, das Getreide, das Gemüse und das Obst hervorbringt, so bleibt es doch ein Wunder, dass all diese Dinge da draußen wachsen und wir zu essen haben. Für dieses Wunder sagen wir heute Dank. Wir sagen: „Gott, dir sei Dank, der du am Anfang aller Schöpfung stehst.“ Und wenn wir dafür danken, dass wir zu essen und zu trinken haben, dann bedenken wir dabei, dass es auch viele Menschen gibt, die hungern. 

Ich habe von jemandem, dem es schlecht ging, den Satz gehört: „Womit habe ich das verdient – bin ich denn schlechter als andere Menschen?“ Wir, die wir ausreichend zu essen und zu trinken haben, können uns heute einmal umgekehrt fragen: „Womit haben wir das verdient, dass es uns so gut geht – sind wir denn besser als andere?“

Die Früchte der Natur sind Gottes Gaben an alle Menschen. Sie sind Lebensmittel, dass alle davon leben können. Wir empfangen diese Gaben – und wo wir sie reichlich empfangen, da sollen wir sie ganz gewiss auch weitergeben. Dies gilt nicht nur für die Gaben der Natur – das gilt für alles, was wir empfangen, auch für unser Wissen, unsere Begabungen, unsere Zeit, unser Geld, unsere Kleidung, unsere Wohnung, unsere Freude. All das ist zugleich für uns und für unsere Mitmenschen bestimmt. Teilen, Abgeben auch das gehört zum Danken.

„Brich mit dem Hungrigen dein Brot“, heißt es in einem Lied, „sprich mit den Sprachlosen ein Wort, sing mit den Traurigen ein Lied, teil mit den Einsamen dein Haus.“

Predigt: Der reiche Kornbauer hat eine gute Ernte gehabt. Er baute große Scheunen, um sein Getreide zu lagern. Dann sagte er zu sich selbst: „Nun habe ich Ruhe für viele Jahre. Nun will ich essen und trinken und es mir gut gehen lassen.“ 

Der reiche Kornbauer wusste: An anderen Orten hatte es eine schlechte Ernte gegeben. Bald würde man zu ihm kommen und von ihm Getreide kaufen wollen. Dann würde er den Preis erhöhen, und er würde ausgezeichnete Geschäfte machen. 

„Ich werde gut verdienen“, sagte er sich. „Ich kann mir mein Haus neu einrichten, ich werde mir Personal einstellen und werde andere für mich arbeiten lassen.“ 

Abends lud er Getreidehändler zum Essen ein. Sie berichteten ihm, dass andernorts schon der Hunger ausgebrochen sei. Es gäbe kaum noch Getreide, um Brot zu backen. Der Kornbauer war zufrieden. Sein Vorrat würde noch lange reichen. Den Preis würde er noch einmal erhöhen. 

Getreide, Äpfel, Tomaten, Weintrauben das sind Lebensmittel, Mittel zum Leben. Viele Menschen auf unserer Erde entbehren Lebensmittel, sie haben nicht genug zu essen, sie hungern. Andere haben von den Lebensmitteln im Überfluss. Sie können essen, so viel sie wollen. Und viele essen zu viel und werden krank davon. Wir kennen das vielleicht von uns selbst. 

Hunger auf der einen Seite und Sattheit auf der anderen Seite – das ist ein Problem auf unserer Erde. Das ist ein Problem, mit dem wir uns nicht abfinden dürfen. Und wir dürfen auch nicht sagen: Solche Ungleichheit ist gut fürs Geschäft. 

Uns sind die Lebensmittel, die Früchte des Feldes anvertraut – nicht, dass wir allein davon leben. Sie sind uns anvertraut, dass wir – und andere mit uns – zusammen davon leben. Der Überfluss darf uns nicht satt und träge und selbstgenügsam machen. Der Überschuss an Gaben erhöht unsere Verantwortung für den Mitmenschen.  

Die Früchte der Natur sind Lebensmittel, sie sind Mittel zum Überleben. Sie sind Gaben Gottes an uns, dass wir leben können. Als Menschen der Stadt – und noch dazu, wenn die Regale in den Geschäften voll sind und unser Portemonnaie voll ist – merken wir nicht so recht, wie überlebenswichtig das Land, wie wichtig der Acker ist, und wie wichtig die Arbeit des Bauern ist, und dass wir ohne die Früchte des Ackers nicht leben können. Ein Bauernhof ist – das haben manche von den Älteren unter uns vielleicht in der Kriegs- und Nachkriegszeit auch hier in Deutschland erlebt – ein Bauernhof ist wie eine Rettungsstation. Wer ein eigenes Stück Land, einen kleinen Garten z. B. hatte, der wusste: Aus diesem Boden wächst Leben, da wachsen Früchte. Wenn ich den Boden bearbeite, werde ich nicht verhungern, dann kann ich überleben. 

Der reiche Kornbauer war Herr über einen Bauernhof. Auf seinem Land wuchsen Lebensmittel – nicht nur für ihn selbst, sondern auch für viele andere Menschen. Ob er, als er nach seiner reichen Ernte abends im gemütlichen Sessel saß, wohl daran gedacht hat, dass sein Bauernhof so etwas wie eine Rettungsstation war oder doch hätte sein sollen – für die vielen Menschen, die die Nahrungsmittel dringend brauchten? 

Von einer anderen Rettungsstation, einer Seenotrettungsstation handelt eine kleine Geschichte, die wir Euch heute vorspielen wollen. Wir haben in den großen Unglücken dieser Woche erlebt, wie wichtig es ist, dass Menschen zur Stelle sind, wenn andere in Not geraten. Wir haben gesehen und gehört, dass Menschen zur Stelle waren, die anderen geholfen haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens und bis zum Rand der Erschöpfung – in der Ostsee, um Menschen aus dem kalten Wasser zu retten.

Wir sind aufeinander angewiesen, dass jeder auf den anderen achte, dass jeder seine Gaben – seine Kraft, sein Wissen, seine Intelligenz, seine Arbeit, sein Geld auch für andere einsetzt.

Der reiche Kornbauer hat in seinem Überfluss nur noch an sich gedacht und war satt und bequem geworden. 

Vielleicht steckt in uns allen die Gefahr, dass wir satt und bequem werden, wenn es uns zu gut geht.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 2. Oktober 1994)

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